Vintermørket
weibliche Stimme ertönte. Mein Blick klärte sich und ich erkannte Taith, die vor mir stand.
„Ist dir nicht kalt?“ Ich betrachtete ihr T-Shirt und erntete ein Lachen.
„Du vergisst, dass ich hier aufgewachsen bin. Mir ist nicht kalt. Sonst hätte ich mir etwas angezogen.“
„Ich würde mir in dem Aufzug mehr als nur die Arme abfrieren“, murmelte ich und streichelte Rex versonnen weiter. Taith ließ sich neben mir nieder, sah traurig auf den Husky.
„Du weißt es?“
Ich nickte. Über dieses Thema wollte ich nicht sprechen. Ich wollte es verdrängen. Vielleicht würde es dann nicht mehr so wehtun.
„Thore hat sich gut um Rex gekümmert. Beinahe mehr als um die anderen Tiere. Aber das Alter … vielleicht … vielleicht hat dich dein Hund auch einfach zu sehr vermisst.“
„Ich bin also schuld an seinem Ableben?“
Ich sah sie scharf an. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit dieser Aussage. War ich wirklich daran schuld, dass Rex starb? Glauben könnte ich es mühelos. Aber mir diese Last aufzubürden, war nicht tragbar für mich.
„So … so habe ich es nicht gemeint.“
„Du hast es gesagt, Taith. Aber schon okay. Ich mache alles kaputt. Daran bin ich gewöhnt.“
„Lex …“
„Lass mich für heute bitte in Ruhe. Ich will mich nicht mit noch jemanden streiten.“
„Macht dir Thore Probleme?“
„Taith, ich will nicht drüber reden.“
Bevor sie erneut ansetzen konnte, gab ich Rex einen Abschiedskuss auf den Kopf und erhob mich. Ich wollte flüchten, dieser dämlichen Fragerei, den Anschuldigungen entgehen. Am Tor angekommen, prallte ich gegen einen Körper und unterdrückte den Fluch, der mir auf der Zunge lag.
„He, nicht so schnell!“, meinte Thore, als ich mich stumm an ihm vorbei drängeln wollte. Er hielt mich an der Schulter fest und warf einen Blick zu Taith.
„Ab ins Haus mit dir oder willst du eine Lungenentzündung bekommen?“, knurrte er. Seine Schwester seufzte.
„Lex, es tut mir leid. Thore, ich bin erwachsen, also höre auf, mich wie ein Kind zu behandeln!“
„Du bist immer noch meine kleine Schwester. Jetzt ab!“
Sie wechselten ins Norwegische, warfen sich wüste Beschimpfungen an den Kopf. Wenn ich nichts verstand, aber die Kraftausdrücke kannte ich gut. Irgendwann stampfte Taith mit dem Fuß auf, drängelte sich an uns vorbei und verschwand. Thore hielt mich immer noch fest. Nachdem er seiner Schwester mit dem Blick gefolgt war, sah er mich finster an.
„Jetzt zu dir.“
Ich verdrehte genervt die Augen. Seine Machtspielchen konnte er gerne mit jemandem anderen machen.
„Kein Bedarf“, stieß ich aus und versuchte probehalber mich aus seinem ehernen Griff zu befreien. Aber dieses Experiment schlug fehl.
„Lass uns ein Stück gehen. Ich will wissen, wofür sich Taith entschuldigt hat.“
„Nenn´ mir einen vernünftigen Grund, warum ich dir das erzählen sollte.“
Seine stahlblauen Augen fixierten mich. Für einen Moment verlor ich mich in ihnen. Ertrank beinahe in diesem hellen Meer. Seine Hand, die immer noch auf meiner Schulter lag, strahlte eine unglaubliche Wärme ab.
Die Mauer um mich herum zerbrach. Die Taubheit fiel von mir ab. Mit einem Mal prasselten die Emotionen auf mich nieder. Ich geriet in Panik, wollte die Mauerstücke wieder zusammensetzen und mich schützen, aber meine Ummantelung war fort. Ich war ihm und seiner Nähe hilflos ausgeliefert. Sein körpereigener Geruch stieg mir in die Nase. Ein Gemisch aus Schnee und Nadelwald und der Nuance von Minze. Wann war es passiert, dass ich so viel mehr als Freundschaft für ihn empfand, mich seine Ablehnung beinahe umbrachte?
„Alten Zeiten wegen.“
Seine raue Stimme riss mich aus den Gedanken. Thore strich sich eine Strähne schwarzen Haares nach hinten, schaute mich weiterhin unentwegt an. Ich wusste nicht, was ich darauf entgegnen sollte, deswegen nickte ich nur. Wenn auch widerwillig. Die alten Zeiten, wie er sie so schön bezeichnet hatte, schien es nicht mehr zu geben. Sie waren beinahe wie ausgelöscht, als hätten sie nie existiert.
Ich folgte ihm nach draußen in den meterhohen Schnee. Mühselig stapfte ich zu einem kleinen Pfad und blickte in den sternenklaren Himmel. Thore stand direkt hinter mir.
„Du hast dich verändert“, flüsterte er nach einer Weile. Ich schluckte hart. Mich wunderte es, dass dieses Gespräch eine andere
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