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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Trigiani
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Einkaufszentrum fahren.«
    »Wir können überhaupt nirgendwohin fahren«, erinnert mich Marisol.
    »Davon mal abgesehen. Kapierst du nicht? Wir sind Kaufgeiseln an dieser Schule.«
    »Wir werden’s überleben«, sagt Marisol. Wir stapeln unsere Mathebücher in die Plastikkörbe.
    »Marisol, darf ich dich was fragen?«
    »Klar.«
    »Hast du auch mal schlechte Laune?«
    Marisol lacht. »Na klar.«
    »Kann man sich gar nicht vorstellen.«
    »Jeder hat mal schlechte Laune«, sagt sie vernünftig.
    »Auch du?«
    Marisol schaut von ihrer Liste auf. »Ich bin Überlebenskünstlerin.«
    »Echt? Wie meinst du das?« Einen Moment lang stelle ich mir vor, wie Marisol sich in einer Reality-Show an Seilen durch einen Hindernisparcours schwingt. Ich wette, sie könnte gewinnen. Sie hat echt Mut.
    »Na ja, ich bin Mexikanerin, und davon gibt es in Virginia nicht gerade viele. Also musste ich lernen, mich mit Leuten anzufreunden, die sonst keine Mexikaner kennen oder mögen. Es ist quasi eine Art Herausforderung für mich, Freunde zu finden.«
    »Wirklich?«
    »Ich achte darauf, zuerst zu sprechen und freundlich zu sein. Und wenn ich mich mit jemandem besonders gut verstehe, versuche ich, denjenigen zu unterstützen und zu ermutigen. So wie ich es mit dir und deiner Filmerei mache.«
    »Das klingt ziemlich erwachsen«, sage ich nachdenklich.
    »Es ist nicht schwer, mit dir befreundet zu sein, Viola. Du hast eine Menge zu bieten. Du hast nur Angst. Aber das haben wir alle. Du brauchst also nicht das Gefühl zu haben, du wärst die Einzige, denn das bist du nicht.«
    »Danke.« Wenn es an der Kasse einen Korb gäbe, in den ich die ganze Scham füllen könnte, die ich in diesem Moment empfinde, würde er nicht durch die Türen passen. Ich habe mir keine zehn Sekunden Zeit genommen, mich mal umzuschauen und zu sehen, was die anderen Mädchen durchmachen. Ich bin ein echtes Egoschwein. Immer nur ich, ich, ich.
    »Außerdem …« Marisol streicht Walt Whitmans Leaves of Grass von ihrer Liste und schaut mich dann an. »Wird es besser, wenn man sich über alles beschwert? Ich meine, wir sind nun mal hier bis zum Ende des Schuljahrs, und ich habe keine Lust, ständig unglücklich zu sein. Du etwa?«
    Ich folge Marisol zur Kasse. Und zum ersten Mal seit meiner Ankunft an der PA empfinde ich einen Hauch von Zugehörigkeit, als könnte ich es hier vielleicht doch einigermaßen aushalten, bis es wieder Zeit ist, zu meinem echten Leben nach Brooklyn zurückzukehren. Es ist tatsächlich so, wie Mom immer sagt: »Du kannst überall auf der Welt Freunde finden. Sag einfach freundlich Hallo.« Na ja, dazu braucht es einiges mehr als nur ein freundliches Hallo, aber allmählich bekomme ich den Dreh raus.

VIER
    Liebe Mom, lieber Dad,
    also, ihr hattet vielleicht doch ein klitzekleines bisschen recht damit, dass ich mich irgendwann schon in der PA einleben würde. Ich bin jetzt fast einen Monat hier, ein Viertel des Schulhalbjahres, und allmählich gefällt es mir fast. Gestern
nach dem Abendessen habe ich mit den Mädchen aus unserem Wohnheim Basketball gespielt. Ich habe einfach den Ball geschnappt und bin drauflosgedribbelt. Die vielen Stunden auf dem Basketballfeld neben meiner alten Schule haben sich echt ausgezahlt, weil ich eines der wenigen Mädchen hier bin, die einen richtigen Korbleger können (abgesehen von den Leuten aus der Schulmannschaft natürlich). Jedenfalls läuft alles knorke
(so reden die Landeier hier in Indiana) in meinen Kursen. Bis jetzt zumindest. Die Lehrer halten nach Mädchen Ausschau,
die aussehen, als würden sie demnächst vor Heimweh einen Nervenzusammenbruch oder etwas ähnlich Tragisches erleiden. Ich habe Glück gehabt. Bis jetzt hatte ich noch keinen Heulanfall in der Bibliothek. Aber das kommt vielleicht noch. Wer weiß?
Ich wünschte jedenfalls, ich wäre bei euch. Und bitte, Mom, lass nicht zu, dass Dad eure Filmaufnahmen ewig hortet. Dad ist einfach viel zu perfektionistisch; er wartet bestimmt, bis ihr mit allem fertig seid, bis er mir was von eurem Material zeigt. Afghanistan ist hier fast jeden zweiten Tag in den Nachrichten. Ich habe es als News-Pop-up auf meinem Desktop. Die Bilder von eurem Aufenthalt in London haben mir gut gefallen.
Die Scones mit der Schlagsahne, die ihr in dieser Teestube namens Nigel Stoneman’s gegessen habt, würden mir auch gut schmecken. Die sahen superlecker aus. Was das Essen hier angeht: Das Frühstück ist das Beste, da schlag ich immer voll zu. Rührei, Rösti und eine

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