Violas bewegtes Leben
Donut-Maschine. Zum Mittagessen gibt es eine Salatbar und so, und beim Abendessen servieren sie Aufläufe, wie Grand sie macht, wenn nach dem Theater noch vier Millionen Leute mit zu ihr kommen. Ihr wisst schon, Hackfleisch, Käse und eine undefinierbare Soße. Oh, und vielleicht mache ich was für die Gründungstagfeier. Mehr davon später. Das war’s erst mal. Ich liebe euch, V.
Mrs. Carleton gehört zu den Lehrerinnen, für die man sich, wenn man im Unterricht sitzt und nur halb zuhört, insgeheim gerne ein paar Verschönerungsmaßnahmen überlegt. Sie sieht eigentlich ganz okay aus mit den hübschen braunen Augen, den braunen Haaren und der zierlichen Figur. Aber ihre Augen sind ganz verquollen und rot, weil sie die ganze Nacht nicht geschlafen hat (sie hat ein kleines Baby), und ihre Haare sind zu einem Bob geschnitten, der unten ganz schief ist (wahrscheinlich schneidet sie ihn selbst mit einer Nagelschere), und dazu trägt sie leberwurstgraue Stoffhosen mit einem ausgebeulten Hintern und so einen übergroßen knallbunten Pulli, wie sie hier im ländlichen Indiana so beliebt sind. Am Anfangder Stunde hat sie noch Lipgloss auf den Lippen, doch am Ende ist der ganz ablutscht und dann hat sie null Komma null Schminke mehr im Gesicht.
Mrs. Carleton lässt uns sämtliche Handys vor Beginn des Unterrichts in einen Korb auf ihrem Schreibtisch legen. Am ersten Tag hatten ein paar Mädchen ihre Handys auf Vibrationsalarm gestellt. Durch das Vibrieren ruckelte der Korb heimlich bis zur Tischkante und fiel dann auf den Boden, sodass die Handys alle durch die Gegend flogen. Die Handybesitzerinnen rannten sofort los, um die Telefone aufzusammeln und sich zu vergewissern, dass sie noch heil waren. Und wenn Mrs. Carleton unsere Geräte jetzt eingesammelt hat, lässt sie den Korb auf dem Boden stehen, damit er, falls etwas vibriert, nicht in die unendlichen Weiten des Weltraums katapultiert wird.
Mrs. Carleton reißt mich aus meinen Typberatungs-Tagträumen. »Viola, was kannst du uns über den Geist in Hamlet erzählen?«
»Also, der Geist ist Hamlets Vater, der von seinem Bruder ermordet wurde. Und jetzt will der böse Bruder anstelle von Hamlets Vater König werden.«
»Warum hat Shakespeare sich entschieden, einen Geist den Prolog sprechen zu lassen?«
»Na ja, er brauchte vermutlich eine Figur, die das Publikum in die Geschichte einführt. Warum nicht einen Geist?«
Marisol hebt die Hand. »Ist doch originell.«
»Und warum?« Mrs. Carleton lehnt sich an ihren Tisch. Ihre Hose ist auch vorne am Knie völlig ausgebeult. Ich habe absolut keinen Schimmer, wie man so ein Problem beheben könnte. Vermutlich hilft da nur eine neue Hose.
»Wenn jemand im echten Leben stirbt, bleibt manchmal die Seele dieser Person auf der Erde zurück«, sagt Marisol.
»Sehr interessant, Marisol. Die Vorstellung, die Seele eines Menschen verharrt noch im Äther, nachdem dieser Mensch gestorben ist.«
»Wie gruselig«, platze ich heraus. Alle lachen.
»Das soll es ja auch sein.« Mrs. Carleton geht vor der Klasse auf und ab. »Der Vater wurde ermordet, aber er möchte seinem Sohn, der noch lebt, dabei helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen, deshalb erscheint er, um ihn zu warnen und zu leiten.«
Mrs. Carleton schaut auf die Uhr. »Ich finde, das ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für unsere Diskussion in der nächsten Stunde. Ich möchte, dass ihr die Rolle des Übernatürlichen in Hamlet untersucht und bis zu unserer nächsten Stunde ein einseitiges Essay darüber schreibt. Hier ein Hinweis: Ich weiß zufällig, dass es in der Bibliothek ein altes Buch mit dem Titel Das Leben in Shakespeares England als E-Book gibt. Und ich möchte, dass ihr in eurem Essay Stellung bezieht: Gibt es Geister oder gibt es sie nicht? Untermauert eure Meinung mit euren Rechercheergebnissen.«
Nach dem Unterricht warten Marisol und ich darauf, unsere Handys zu holen. Wir nehmen sie aus dem Korb und schauen sofort nach neuen Nachrichten, während wir aus dem Gebäude hinaus in die Kälte gehen. Ich habe eine SMS von meiner Großmutter bekommen.
Grand: Deine Eltern haben mir mitgeteilt, dass du dich einlebst. Ich habe Kekse geschickt. Nicht selbst gebacken. Von Balducci’s. Liebe Grüße
»Kurzmeldung: Meine Großmutter schickt Kekse«, sage ich zu Marisol.
»Klasse.« Marisol steckt ihr Handy in die Tasche.
»Sie hat sie zwar nicht selbst gebacken, aber sie sind auch nicht aus der Fabrik. Sie hat sie bei Balducci’s gekauft und die
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