Violas bewegtes Leben
sollen. In meinen Ohren klingt das verdammt nach einer Punktetabelle.« Ich salze mein Hühnerragout.
»Du machst eine viel zu große Sache daraus«, sagt Suzanne. »Wir sollten uns darüber unterhalten, was wir anziehen, undnicht darüber, wie wir uns dabei fühlen werden. Wen kümmert’s? Wenn es langweilig ist und die Jungs Idioten sind, haben wir immer noch uns.«
»Ich bin dabei«, sagt Romy feierlich.
»Ich auch.« Marisol gibt mir einen Stoß in die Rippen.
»Schon gut. Schon gut. Ich komme mit.« Ich pikse mit der Gabel in meinem Apfelkuchen herum, weil ich das Ragout versalzen habe. Ich frage mich, was meine Mutter wohl davon hält, dass ich zum Abendessen nur den Nachtisch esse, aber das ist ja das Schöne am Internatsleben: Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, zumindest wenn es um kleine und mittlere Dinge geht. Die großen Entscheidungen überlasse ich der PA – und, was Jungs betrifft, der einzigen Expertin, die ich kenne: Suzanne Santry.
»Hallo Liebes! Wir sind in Wardak. Das ist in der Nähe von Kabul.« Meine Mutter winkt in die Kamera an meinem Computer. »Du siehst toll aus!« Mom nähert sich dem Kameraauge, bis ihr Gesicht den Bildschirm ganz ausfüllt. Die Aufnahme ist so dicht dran, dass unser Zahnarzt, Dr. Berger, ihre Backenzähne untersuchen könnte.
»Viola, wie geht es dir?« Mein Vater schiebt meine Mutter beiseite und kommt ins Bild.
Ich schaue mich in meinem Zimmer um und vergewissere mich, dass keine meiner Mitbewohnerinnen in einer Ecke lauert. »Bald findet eine Party statt«, erzähle ich ihnen.
»Wie wunderbar!«
Zu den nervigen Eigenschaften meiner Mutter gehört, dass sie über banale Dinge wie Schulfeste völlig aus dem Häuschen gerät.
»Na ja.«
»Weißt du, Vi, was deine sozialen Kontakte betrifft, zählt vor allem deine innere Einstellung.« Mom beißt sich auf die Lippe und zieht sich in den Hintergrund zurück, während Dad sich vorbeugt, um die Sache mit mir zu besprechen. Auf seiner Stirn erscheinen lauter kleine Runzeln, wie bei einem Baumstamm.
»Deine erste richtige Party.« Dad lächelt.
»Und vielleicht auch meine letzte! Prinzessin Beißzange lässt grüßen!« Ich imitiere eine Krone, indem ich mir die Finger an meinen Hinterkopf halte.
»Jedenfalls hast du deinen Humor nicht verloren. Ich glaube, du freust dich schon ein bisschen auf diese Party«, sagt Dad neckend.
Ich zucke mit den Schultern.
»Ich werde euch beide mal kurz allein lassen.« Mom schaut zu Dad und geht dann aus dem Bild.
»Ach, Dad.«
»Deine Mutter findet, wir sollten uns mal unterhalten.«
»Über was denn?«
»Jungs«, sagt Dad.
»Ich weiß alles, was man wissen muss«, verspreche ich. »Ich meine, Andrew ist schließlich ein Junge. Und du warst früher auch mal einer – wie viel muss ich denn noch wissen?«
»Kluges Mädchen. Wir sind auch nur Menschen.«
»Eben.«
»Unterhalte dich mit allen und amüsier dich«, empfiehlt Dad.
»Toller Rat, Dad. Wenn ich zu dieser Art von Mädchen gehören würde, könnte ich ihn auch ganz leicht befolgen.«
Dad lacht. Meine Mutter kommt wieder ins Bild. »Ich habe kein Wort von dem gehört, was ihr gesprochen habt«, lügt sie.»Und, wie sind deine Mitbewohnerinnen? Wie geht’s Soledad?«
»Marisol«, korrigiere ich.
»Stimmt, entschuldige. Ihren Blog fand ich klasse.«
»Ich mag Marisol sehr. Wir haben fast alle Fächer zusammen. Suzanne ist sehr hübsch und nett. Romy redet ununterbrochen.«
»Vielleicht ist sie nervös«, sagt Mom.
»Nein, sie redet einfach gerne«, sage ich.
»Es ist gut, wenn man fröhliche Menschen um sich hat.«
»Vermutlich.«
»Hast du an deinem Videotagebuch weitergearbeitet?«
»Oh ja. Violas bewegtes Leben. Das wird super. Ich bin mittlerweile schon bekannt für meine Kamera. So kam es auch, dass ich bei der Gründungstagfeier mitmache.«
»Ach, das wird dir gefallen. Die Mädchen ziehen Kostüme an, die die Schuluniformen aus sämtlichen Äras der Schule darstellen«, erklärt Mom.
»Ich weiß. Ich helfe bei der Aufführung. Ich mache ein digitales Bühnenbild dazu.«
»Wie wundervoll!« Meine Mutter klatscht dabei tatsächlich in die Hände.
»Wie ist der Unterricht?«, fragt Dad.
»Die Lehrer sind alle totale Landeier.«
»Du bist im Mittleren Westen, Viola«, erinnert er mich.
»Das ist ja das Problem. South Bend, Indiana, wird niemals Brooklyn, New York, sein. Indiana hat durchaus seine schönen Seiten. Ich mag die Dämmerung. Die Mädchen sind mir ans Herz gewachsen.
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