Violas bewegtes Leben
Jungen ab, und sofort überkommt einen so ein förmliches, militärisches Gefühl. Eine ähnliche Reaktion hatte ich, als ich von meinen Eltern zu den historischen Schlachtfeldern bei Waterford in Virginia geschleppt wurde, damit ich »den Bürgerkrieg besser verstehe«. An dem riesigen steinernen Eingangstor hängt ein großes Schild mit GSA in Goldbuchstaben drauf und einem Zeichen, das halb wie ein Adler, halb wie eine Maschine aussieht.
Die Mädchen lachen und amüsieren sich auf der Busfahrt, nurich habe ein Gefühl drohenden Unheils im Bauch. Wenn es eins gibt, was ich hasse, dann ist es, neue Leute in einer großen Gruppe kennenzulernen, vor allem, wenn es sich um Jungs handelt.
Es kommt mir irgendwie verrückt vor, gezwungen zu sein, sich in einem Internat neue Freunde zu suchen, und dann zu noch einem Internat geschleppt zu werden, um da noch mehr Leute kennenzulernen – als wären es nicht längst genug. Ich wäre sicher bereit, im nächsten Schulhalbjahr zu einer Party zu gehen, aber jetzt, mitten im November, ist es mir viel zu früh. Ich habe mich erst vor Kurzem, ungefähr seit letztem Dienstag, so richtig an das Internatsleben gewöhnt, und nun wird alles wieder durcheinandergewirbelt.
Nervös bin ich übrigens nicht. Bestimmt gibt es Mädchen im Bus, die nervös sind und bei der Vorstellung, Jungs zu treffen, ganz zittrige Knie bekommen, aber so ist es bei mir nicht. Seit der Theateraufführung mache ich mir kaum noch Gedanken darüber, wer ich bin und wie ich auf andere wirke. Es ist, als hätte ich einen Weg gefunden, mich auszudrücken, der sehr wahrhaftig ist und mir ganz und gar entspricht. Anders kann ich es nicht sagen. Es war toll, kreativ zu arbeiten und meine Ideen vor einem Publikum umgesetzt zu sehen. Deshalb habe ich jetzt vor gar nichts Angst, nicht mal vor Jungs. Verlegen? Ja, mag sein. Aber Angst? Es gibt nichts, wovor ich Angst haben müsste. Ich weiß, wer ich bin. Und wenn das einem Jungen nicht gefällt? Tja, Pech für ihn.
Mrs. Zidar steht vorne im Bus und hält sich an der Silberstange neben dem Fahrer fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie hat ihre Karottenhose gegen einen karierten Wollrock und ein dunkelblaues Twinset eingetauscht und sieht wieeine schottische Stewardess aus. Wenigstens hat sie einen flotten Haarschnitt und ist gut geschminkt. Wäre Mrs. Carleton heute Abend unsere Anstandsdame, hätten wir uns Sorgen machen müssen, in welchem Aufzug sie wohl auftaucht. Als Therapeutin war sich Mrs. Zidar dieses Problems wohl bewusst und hat sich in Schale geworfen, um uns nicht in Verlegenheit zu bringen. »Mädchen, ein paar kurze Worte, ehe wir zur Party gehen. Denkt daran, wir sind Gäste an der Grabeel Sharpe Academy. Bitte zeigt Respekt für die Gebäude und die Umgebung.«
»Warum sagt sie nicht einfach, schmeißt keinen Müll in die Gegend und beschmiert nicht die Wände?«, flüstere ich Marisol zu.
»Und denkt an eure Manieren. Es kann sein, dass ein paar der neuen Jungen an der Academy etwas schüchtern sind. Also ist es unsere Aufgabe, dass sie sich wohlfühlen.«
Ich hebe die Hand. »Aber sie wohnen doch hier; wir sind also diejenigen, die sich unbehaglich fühlen könnten.«
Die Mädchen im Bus lachen. Mrs. Zidar lächelt. »Ja, Viola, das ist richtig. Aber ich kenne meine Prefect-Mädchen und weiß, dass ihr herzlich und entzückend und charmant seid und es mühelos schafft, anderen die Befangenheit zu nehmen. Warum also nicht auch heute Abend auf eurer ersten Party?«
»Na gut.« Ich zucke mit den Schultern. Ich wirke zwar so, als wäre mir das Ganze völlig egal, aber insgeheim ärgere ich mich bereits über meine Kleiderwahl. Das Samtkleid mit den breiten Trägern fühlt sich an wie ein umgegurteter Futtersack, was irgendwie gut passt, weil ich mir inmitten meiner Klassenkameradinnen vorkomme wie auf dem Weg zur Schlachtbank.
Meine Jeansjacke mit dem aufgestickten Juicy-Logo auf dem Rücken (original!) ist nicht warm genug für die Novemberkälte. Ich trage schwarze Strumpfhosen und dunkelblaue Wildlederstiefeletten. Meine Kamera hängt um meinen Hals, weil ich Mrs. Zidar und Trish versprochen habe, unsere erste Party für die Nachwelt »aufzuzeichnen«. Ich bin froh, die Kamera dabeizuhaben; so habe ich eine Aufgabe. Wenn der Abend ein Reinfall wird, kann ich mich immer noch der Filmerei widmen.
Die Eingangshalle des Jungeninternats riecht nach Haferflocken und Reinigungsmittel. Bestimmt haben sie alles geschrubbt, ehe sie uns aus
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