Violas bewegtes Leben
außerhalb New Yorks. Hier habe ich wenigstens meine Mitbewohnerinnen. Und auch wenn Romy mir den Samstag versaut hat, weil sie mich zwang, zusammen mit Suzanne und Marisol auf der Tribüne zu sitzen, während das längste Match in der Geschichte des Schülerhockeys ausgetragen wurde, mag ich meine Mädels immer noch am liebsten, lieber als alle anderen. So grübelt mein Verstand vor sich hin, während ich vor Mrs. Zidars Tür sitze und auf meinen Termin warte.
Mir ist aufgefallen, dass ich mir ständig einrede, ich sei vollkommen normal, seit ich diesen Termin wegen einer möglichen Beeinträchtigung meiner geistigen Gesundheit vereinbart habe.
Die einzige Person, die ich kenne, die jemals in psychologischer Behandlung war, ist Andrews älterer Bruder Gus, der ein bisschen zu viel Talent am Computer zeigte. Er hackte sich auf der Website der LaGuardia-High ein und ersetzte die Gesichter des Schulleiters, des stellvertretenden Schulleiters und des Oberstufenleiters durch Fotos der drei Stooges. Man kam schließlich zu dem Schluss, dass es sich nicht um einenkriminellen Akt handelte, sondern um einen Scherz, deshalb musste er nach einer Weile auch nicht mehr zum Psychiater gehen.
»Bitte komm rein, Viola.« Mrs. Zidar steht in der Tür ihres Büros, ein Klemmbrett in der Hand. Sie trägt einen Wollrock und eine weiße Bluse und flache Schuhe mit Leopardenmuster, für die sie auf jeden Fall Pluspunkte erhält. Solche Schuhe muss man in Indiana erst mal finden. Die werden nicht an jeder Ecke verkauft. Vielleicht hat sie sie auch im Internet bestellt. Wenigstens bemüht sie sich, modisch auszusehen.
Mrs. Zidars Büro sieht gemütlich aus, wie das Wohnzimmer einer Jagdhütte. Der Teppich ist rot und schwarz und waldgrün kariert. Das Sofa hat einen Bezug aus rotem Kordsamt, und rechts und links davon stehen zwei Stühle mit gerader Lehne und roten Kissen. Ihr Schreibtisch ist ein alter Bauerntisch vor dem Fenster mit einem Schreibtischstuhl davor. Auf dem Fenstersims steht ein Einweckglas mit weißen Nelken.
Ich setze mich auf das Sofa, das so weich gepolstert ist, dass ich darin versinke. Mrs. Zidar nimmt auf einem der Stühle Platz und rückt mit ihm herum, damit sie mich anschauen kann. »Fühl dich ganz wie zu Hause.«
Ich finde es sehr seltsam, wenn ich das Wort Zuhause höre. Es hat eine ganz neue Bedeutung für mich bekommen. Früher bedeutete es die Hicks Street in Brooklyn, aber nun ist es überall dort, wo ich mich wohlfühle. So wirkt sich also das Internatsleben auf einen Menschen aus, der vierzehn Jahre an ein und demselben Ort verbracht hat: Es öffnet für neue Erfahrungen und Definitionen.
»Wie geht es dir, Viola?«
»Ganz gut, abgesehen davon, dass ich so schlecht schlafe.Meine Mitbewohnerin Suzanne meinte, Sie könnten mir vielleicht helfen.«
»Bist du eher ein Tagmensch oder eine Nachteule?«
»Hm, beides.« Ich zucke mit den Schultern.
Mrs. Zidar notiert etwas auf ihrem Klemmbrett. »Isst du genug?«
»Ja, außer wenn es Kartoffelauflauf mit Lammfleisch gibt. Den mag ich nicht.«
»Gut. Machst du Sport?«
»Turnen und tanzen.«
»Macht dir das Spaß?«
»Ja.«
»Bei der Untersuchung durch die Schulkrankenschwester hast du angegeben, keine Medikamente zu nehmen.«
»Das stimmt.«
»Und wie häufig hast du diese Schlafprobleme?«
»Fast jede Nacht.«
»Und hast du früher schon solche Probleme gehabt?«
»Nein, ich bin immer sofort eingeschlafen. Das ist erst seit der Aufführung zum Gründungstag so.«
»Magst du deine Mitbewohnerinnen?«
»Oh ja. Sie sind sehr nett.«
»Trinkst du Kaffee?«
»Nein, mag ich nicht.«
»Cola?«
»Ich trinke gerne Zitronenlimo.«
»Schokolade?«
»Jeder mag Schokolade.«
Mrs. Zidar lacht. »Das stimmt.« Sie notiert sich etwas. »Was ist hier an der Schule passiert, das dich am Schlafen hindert?Hast du Heimweh? Machst du dir Sorgen wegen deiner Noten?«
»Meine Noten sind okay. Keine blauen Briefe bis jetzt.«
»Gut. Weißt du, nach der Theateraufführung bist du eine richtige Schulberühmtheit geworden. Die älteren Schülerinnen waren sehr beeindruckt von deiner Arbeit.«
»Es hat Spaß gemacht.«
»Gut, mir scheint, dass in gesundheitlicher Hinsicht mit dir alles in Ordnung ist. Du ernährst dich gut und machst Sport. Du magst deine Mitbewohnerinnen und du hast dich gut in unsere Gemeinschaft integriert.«
»Dann wissen Sie also auch nicht weiter?«, frage ich.
Mrs. Zidar lächelt. »Vielleicht könntest du mir noch etwas mehr von
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