Violas bewegtes Leben
fremde Leute anzusprechen, was meine Verlegenheit ebenfalls vertreibt. (Unglaublich, eine echte Überraschung.)
»Möchtest du was trinken?«, fragt Jared.
»Gerne.«
Während wir zur Punschschüssel gehen, fühle ich, wie wir beobachtet werden. Aber das ist mir egal.
»Was wirst du heute Abend filmen?«, fragt er.
»Ich wollte erst mal schauen, wie sich der Abend entwickelt, und nur so zum Spaß ein paar Aufnahmen machen.«
»Ich auch. Hast du schon mal einen Film gemacht?«
»Nicht richtig. Ich führe ein Videotagebuch. Meine Eltern machen Dokumentarfilme.«
»Echt?«
»Ja. Sie sind gerade in Afghanistan und arbeiten für eine Nachrichtenredaktion. Sie gehören zu einem Team, das einen Film über afghanische Frauen macht.«
»Das ist echt cool.« Jared lächelt. Er hat ein breites Lächeln und schöne Zähne. Ich frage mich, ob er wohl mal eine Spange getragen hat. Es sieht fast so aus. Jared gießt Punsch in ein Glas und reicht es mir. Am anderen Ende des Raumes sehe ich, wie Suzanne Hof hält und Romy und Marisol ein paar Jungen vorstellt. »Wohnst du mit den Mädchen da in einem Zimmer?«
»Woher weißt du das?«
»Ihr seid zusammen reingekommen. So läuft das immer im Internat – bei Exkursionen hält man sich an seine Gruppe.«
Ich lache. »Eine Exkursion?«
»Na ja, offiziell ist es eine Party, aber für mich ist jeder Ausflug, bei dem wir mit dem Bus fahren, eine Exkursion.«
»Klingt logisch.«
»Woher kommst du?«
»Aus New York. Brooklyn.«
»Cool. Ich komme aus Milwaukee.«
»Und was machst du hier, an dieser Schule?«
»Alle Männer in der Familie meines Vaters sind hier zur Schule gegangen. Ich wollte eigentlich nicht, aber ich hatte keine Wahl.«
»Ich auch nicht. Ich wollte nie in ein Internat und schon gar nicht in eines nach Indiana. Das Gute ist aber, dass ich nur ein Jahr überstehen muss, dann sind meine Eltern zurück, und ich kann wieder nach Hause.«
»Ein Jahr ist nicht so schlimm«, sagt er.
Er hat recht. Es ist nicht das Ende der Welt, wie ich noch im September dachte. Bald ist Thanksgiving und dann Weihnachten, und der Frühling wird bestimmt auch schnell vorübergehen.
»Nein, ist es nicht.«
Suzanne, Marisol und Romy sind nun auf der Tanzfläche. Einige Jungs gesellen sich zu ihnen – es sieht so aus, als würden sie sich richtig gut amüsieren.
»Möchtest du tanzen?«, fragt Jared.
»Warum nicht?«
Während Jared und ich unsere Kameras auf einem Regal abstellen, auf dem zahlreiche Pokale stehen, denke ich an Tag Nachmanoff. Wenn ich mir meinen ersten Tanz vorgestellt habe, war immer er der Junge, der mich in seine Arme nahm. In meinen Träumen schaue ich zu ihm auf und stelle mich auf die Zehenspitzen, damit das Tanzen überhaupt funktioniert.Er wirbelt mich mühelos durch den Raum, und ich folge seinen Bewegungen wie ein langer Seidenschal in einer avantgardistischen Tanzaufführung. Ich habe mir diesen Moment so oft vorgestellt, dass ich mir fast ein bisschen untreu vorkomme, mit Jared zu tanzen, nachdem ich doch die ganze Zeit von Tag geträumt habe. Aber daran will ich gar nicht denken. Ich bin in Indiana, nicht in Brooklyn, und Tag jongliert bei seinen Tänzen zwischen Lucy und Maxine hin und her und hätte sowieso keine Zeit, mich auch noch irgendwie unterzubringen.
Jared nimmt meine Hand, was ich ein bisschen komisch finde, aber irgendwie auch höflich. Wir gehen zu meinen Freundinnen auf die Tanzfläche und ich mache sie über die Musik hinweg miteinander bekannt.
Ich schaue mich um und sehe Mrs. Zidar neben dem Aufpasser von der GSA stehen. Beide schauen uns wohlwollend zu. Unsere erste Party ist bereits ein Erfolg. Bis jetzt hat niemand Bowle verschüttet, die Wände beschmiert oder die Samtvorhänge abgefackelt.
Während wir tanzen, schaue ich an Jared vorbei zum Rand der Tanzfläche. Einige meiner Klassenkameradinnen schauen gelangweilt, andere wirken so nervös, als wäre das hier ein Besuch beim Zahnarzt. Sie tun mir leid. Ich fühle mich fast schuldig, weil ich mich so gut amüsiere, als gäbe es nur eine bestimmte Menge an Spaß, die verteilt werden kann, und als wäre es reines Glück, wenn man etwas davon abbekommt.
Marisol kommt zu mir getanzt und nimmt meine Hand. Angeführt von Suzanne und Romy bilden wir eine Schlange auf der überfüllten Tanzfläche, wir rennen fast und lachen. Trish kaut an einer Minipizza, während sie sich mit einem Mentor von der GSA unterhält. Sie winkt, als wir an ihr vorbeikommen.
Jared steht da und
Weitere Kostenlose Bücher