Violet - Verletzt & Versprochen & Erinnert (German Edition)
Notiz von mir, einem 13 fast 14 jährigen Mädchen, das auf der Flucht war. Ich fragte mich damals, ob sie wussten, dass wir - ich nenne uns die Sehenden - sie vor den Bestien beschützten? Ob sie überhaupt von der Existenz der Bestien wussten? Ob sie die 7 Gebote kannten?
Kanntest du die Antwort denn nicht bereits?
Doch! Aber es war so unvorstellbar. Wie konnte es möglich sein, so viele Nunbones hinters Licht zu führen und wozu sollte das gut sein, die Wahrheit zu verschleiern?
Hast du Antworten gefunden?
Erst viel später. Damals habe ich keine Antworten, nur ein Versteck gefunden. In Sektor Zwei, dort wo Nunbones wohnten, die ihren Müll in engen Häuserschluchten auftürmten. Eine Kellerluke unter einer Feuerleiter, an der die graue Farbe abgeplatzt war, stand offen. Ich schlüpfte durch den Spalt und fand mich umgeben von geschwängerter Luft. Öldunst und der süße modrige Geruch alter Äpfel kroch mir in die Nase. Ich fand eine halbvolle Kiste Mineralwasser und Einmachgläser gefüllt mit Aprikosenmarmelade. Mehr als ich erhofft hatte.
Marmelade? Hast du in dem Keller übernachtet?
Ich habe mich dort versteckt bis es Nacht war.
Was ist dann geschehen?
Draußen fing es an zu regnen. Der Himmel spie Wassertropfen aus, die ihren Weg in die Schluchten, zwischen den Blocks fanden. Ich lauschte der Melodie aufplatzender Regentropfen auf der Gasse, dann hörte ich noch etwas anderes, Menschliches. Ich hörte ein Wimmern. Es war ein kleiner Junge, der sich draußen vor der Luke versteckt hielt. Er kauerte mit dem Rücken an der Wand. Ich war direkt unter ihm.
„Hey du“, flüsterte ich. „Hier bin ich.“ Er sah mich erschrocken an. „Komm!“, bot ich ihm an. Er hatte dunkle fast schwarze Haut. Seine Augen waren noch dunkler, trotzdem konnte ich die Angst in ihnen sehen. Ich machte für ihn Platz und er kroch tatsächlich zu mir herein. „Warum hast du solche Angst?“, fragte ich ihn. Er war völlig durchnässt, zitterte am ganzen Körper. Dann konnte ich sie auch spüren. Die Kälte. Sie kroch zu uns herunter, strich über meine Füße, meine Haut. Ich erstarrte. Eine Bestie war in der Nähe.
Oberster Gesandter, glaubst du an Zufälle?
Zufälle?
Wenn ich auf die Ereignisse jener Nacht zurückblicke, sie aneinanderreihe, dann bin ich mir sicher, dass es keine Zufälle gibt. Es kann kein Zufall gewesen sein, dass sich Neo gerade zu jener Zeit vor meiner Luke versteckte.
Ich schob den schwarzen Jungen hinter mich, wollte ihn schützen. Zumindest wollte ich es versuchen. Ich befahl meinem Körper, sich der Luke zu nähern. Die Kälte legte sich auf mein Gesicht wie eine dünne Eisschicht. Sie war da, schnüffelte keine fünf Meter entfernt. War so groß wie ein junges Kalb. Sah aus wie Bestien aussehen. Einen Schwanz mit Dornen. Eine Haut die glänzte wie Metall. Keine Ohren und zäher Speichel triefte in langen Fäden auf den Asphalt.
Sie wusste, dass Neo nicht weitergegangen war. Sie konnte ihn riechen, mich riechen.
Es war das erste Mal, dass ich einer Bestie so nah war. Ich hätte mich fürchten sollen, aber ich fand dieses Geschöpf interessant. Ich hätte mit dem Jungen davon rennen sollen, stattdessen beobachtete ich mich dabei, wie ich sie anstarrte. Wie sie den Schädel hob. Drehte. Wie sich unsere Blicke trafen und ineinander haften blieben.
Das Dunkel in ihren Augen war unergründlich. Sie rührte sich nicht, starrte nur zurück. Ich behielt die Fassung, wappnete mich geistig für einen bevorstehenden Angriff, aber sie hatte nichts dergleichen im Sinn.
Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasste meine Lippen zu bewegen. „Komm!“, flüsterte ich und sie kam zu mir, bis an die Luke. Ich spürte keine Angst, als ich meine Hand zu ihr ausstreckte und über ihren nackten Schädel strich. Sie war eiskalt, aber in ihren Augen erblickte ich einen Funken Wärme. Dann entdeckte sie den Jungen. Schlagartig spannte sich ihre ganze Bestiengestalt an und ihre Augen, sie funkelten jetzt gefährlich. „Hör auf!“, befahl ich ihr und sie hörte auf, sah mich an wie ein treuer Hund, der etwas falsch gemacht hatte. Dann hörte ich die Stimmen der Männer. Sie riefen nach ihr und die Bestie bebte. Ich spürte, dass sie Angst hatte. „Geh zu ihnen!“, sagte ich und sie gehorchte.
Haben euch die Männer entdeckt?
Es waren nicht nur Männer. Sie hatten noch mehr Bestien dabei. Bestien kaum größer als Hunde und sie führten sie an seltsamen Leinen, wie Hundeleinen. Die
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