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Violet - Verletzt & Versprochen & Erinnert (German Edition)

Violet - Verletzt & Versprochen & Erinnert (German Edition)

Titel: Violet - Verletzt & Versprochen & Erinnert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Lang
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Männer haben uns nicht gefunden, aber die Bestien haben uns gerochen.
     
    Wie Haifische das Blut!
    Ja. Ich war mir sicher, dass sie, die Bestie, die mir gehorcht hatte, so etwas wie der Anführer des Rudels war. Wie ein Alphawolf. Ich war mir sicher, sie hatte die anderen Bestien zurückgehalten, damit wir fliehen konnten. Wir verließen den Keller, das Haus, den ganzen Häuserblock, bevor sie Gelegenheit hatten uns zu folgen. Zum Glück war die Luke in den Keller schmal genug für ein Mädchen und einen Jungen, aber zu schmal für erwachsene Männer.
    „Wie ist dein Name“, fragte ich ihn, als wir uns Stunden später, im Schatten einer verlassenen Kirche in Sicherheit wiegten.
     
    Schatten?
    In Sektion 13 gab es keinen nennenswerten Unterschied zwischen Tag und Nacht. Neonlichter über den Straßen, Screens an den Wänden machten die Nacht zum Tag.
    „Neo“, antwortete er leise. Ich schätzte ihn auf höchstens neun Jahre. Er trug Lumpen und keine Kleider. Roch ungewaschen und seine Augen sahen schwach und kränklich aus. Ich gab ihm den Rest der Marmelade und mein Wasser. „Was wollten die Männer von dir?“, fragte ich ihn, nachdem er gegessen hatte, aber noch lange nicht satt aussah. „Weiß ich nicht. Weiß nur, dass keiner meiner Freunde zurückgekommen ist.“ „Haben die Männer mit den Bestien deine Freunde mitgenommen?“ Er nickte. Ich fragte mich, wer die Männer waren, die Bestien an der Leine führten. Wer um Himmels Willen entführt Kinder?
     
    Hast du es herausgefunden?
    Neo war ein Waise. Seine Eltern wollten ihn nicht oder waren tot. Er wusste es nicht. Neun Jahre hatte er in einem Waisenhaus in Sektor 2 gelebt, bevor die Alpträume kamen und die Kinder auf rätselhafte weise verschwanden. Er und seine Freunde flohen aus Furcht. Ich weiß, dass seine Alpträume keine Träume waren. Er konnte die Bestien sehen wie ich. Er flüchtete vor ihnen und vor den Männern. Er war geflüchtet genauso wie ich. Und er war der Einzige, der von seinen Freunden noch übrig war. Die anderen hatten sie fortgeschleppt.
    Um auf deine Frage zurückzukommen. Ja, habe ich. Aber erst später.
    In dieser Nacht schliefen Neo und ich ein paar Stunden in der Kirche. Die Bänke waren morsche Überreste, die meisten zerstört und es regnete durch faustgroße Löcher im Dach, aber wir fühlten uns sicher.
    Wir lebten in die Tage hinein.
    Im Grunde war jeder Tag wie der vorherige.
    Essen und etwas zum Trinken stahlen wir aus seinem alten Waisenhaus. Nachts schliefen wir in der Kirche, die uns ganz allein zu gehören schien, abgesehen von den Mäusen mit denen wir Brotkrumen teilten.
    Wir hatten Decken geklaut, die uns wärmten und weich waren. Neo, nannte mich V, die Abkürzung für Violet. Er gab mir diesen Namen und ich liebte es, wenn er sich nachts an mich kuschelte und vor dem Einschlafen durch meine violetten Haare strich. Ich war seine Beschützerin. Ich schenkte ihm Geborgenheit und er gab mir soviel davon zurück. Seine Nähe ging mir unter die Haut wie ein warmer Sommerwind.
     
    Wie lange hast du dich mit Neo vor den Vollstreckern und den Männern mit den Bestien versteckt?
    Sie haben uns sechs Tage später gefunden. Aber vorher fand Sie uns.
    Ich war spazieren, hatte mich getraut Neo alleine zu lassen. Ich saß am Ufer des East-River. Das Wasser der Meerenge schob sich dahin, träge wie seit Jahrtausenden. Unberührt von den Schicksalen der Menschen an ihren Flanken.
    Die ewige Kraft der Gezeiten, die die Strömung antrieb, hatte etwas Vertrautes. Kosmisches. Ich liebte es dort zu sitzen.
    Ich dachte an die fackeltragende Statue, die unbegrenzte Freiheit und Gerechtigkeit versprach. Freiheit? Gerechtigkeit? Wahrheit? Das ist es wofür ich kämpfen werde, mein Leben geben werde, wenn es sein muss.
    Es war ein leises Versprechen. Niemand hatte es gehört, niemand hatte mich gesehen. Ich blickte hinüber, sah graue Anleger und Lagerhallen auf der anderen Flussseite. In der Ferne flussabwärts sah ich die Spitzen der Wolkenkratzer des Finanzdistrikts, sah das Skygate in den Himmel ragen. Ich hatte nicht vor dorthin zurückzukehren.
    Ich machte mich auf den Rückweg zu Neo. Als ich die Kirche betrat hörte ich es. Es waren Schreie. Es war Neo. Neos Schreie! Sie drangen durch die schmale Tür in der Kapelle ein und hallten im Kirchenschiff wider. Ich sprang über die Kirchbänke, sprang zur Seitentür und riss sie auf, bereit alles zu geben. Wenn es sein musste, dann würde ich jetzt gleich mein Versprechen

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