Violett ist erst der Anfang
Für diese Variante war es nun natürlich zu spät. Was konnte Jule akut tun? Noch gut 270 Kilometer lagen vor ihnen, also Pi mal Daumen zweieinhalb Stunden Fahrt. Tja, blöd. Ein Navi hätte das jetzt klugscheißern können. Aber welcher Luxus war schon zu erwarten in diesem scheppernden Muffwagen? Zudem hatten Ewa und sie einen langen Tag in den Knochen.
Mal kurz überlegen … Was würde wohl im Alltags-Knigge für Beifahrer stehen? Abgesehen natürlich von: Behalten Sie Kritik am Fahrstil besser für sich. Na, garantiert ein Satz wie: Kümmern Sie sich aufmerksam um Ihren beanspruchten Chauffeur. Gut, kein Problem, schließlich hatte Jule im ganzen Durcheinander vorhin noch vorgesorgt. Sie angelte zwischen den Papiertüten nach ihrer Tasche im Fußraum und zog zwei Tupperdosen hervor. »Süße, was willst du? Olive oder Weintraube?«
»Die Marshmallows hast du nicht mit?«
»Äh, sorry. Nein. Die liegen noch in der Küche.« Jule biss sich auf die Unterlippe. Die Stimmung befand sich erneut im Sinkflug. Jetzt hieß es schnell einen Plan B für Frau B. aus dem Hut zaubern, beziehungsweise noch irgendeinen Leckerbissen aus der Handtasche. Wild wühlte Jule darin. »Pfefferminzbonbon?«, sagte sie mit anpreisendem Singsang und sah abwartend zu Ewa. Keine Reaktion. Dann nicht. Ist ohnehin mein letzter. Hoffnungsvoll kramte Jule weiter und dankte den Göttern für … »Möchtest du ein Duplo?« Duplo? Echt? Krass. Frag mich nur nicht, wie alt das schon ist.
Wortlos riss Ewa ihr den Riegel aus der Hand, rupfte mit den Zähnen die Verpackung runter und stopfte sich das Ding in einem Rutsch rein.
Jep. Für die einen ist es Duplo, für die anderen die mickrigste Schokoportion der Welt.
Schweigen. Immerhin waren sie inzwischen auf der Autobahn, der überstrapazierte erste Gang war raus und der fünfte lief ganz geschmeidig. Alles fein. Abgesehen davon, dass die Drehzahlnadel permanent in den kritischen Bereich pendelte. Kein Wunder, so wie die auf dem Asphalt längsbretterte, Miss Bleifuß-Bogacz. Jule hielt tapfer den Rand. Je schneller sie in Hamburg waren und Jule endlich wieder vernünftig atmen konnte, desto besser. Stinklangweilig war die Fahrt trotzdem. Ewa fixierte versteinert die Bahn, Jule trommelte planlos auf der Fensterarmatur herum. »Hey, ich hab’s! Wir könnten ein bisschen Text üben. Was hältst du davon? Drehbuch hab ich last minute noch eingepackt, sicher ist sicher.« Freudig holte Jule das Skript aus ihrer Tasche. »Soll ich eine Runde vorlesen?« Schweitzer, wie verzweifelt bist du denn, dass du jetzt an diesen Soap-Schrott denkst?
»Muss das sein?« Ewa klang nicht begeistert.
»Es muss«, entschied Jule und schob sich eine Strähne hinters Ohr. »Gut. Also. Thema ist noch immer die Nummer zwischen Babett und Nick, der …«
»Drecksack!«
»Aber hallo. Unterschreib ich sofort. Ey, mir wird ganz schlecht, wenn ich mir vorstelle, dass ich mir bei dieser lausigen Nummer auf dem Klo wirklich HIV …«
»Ey, hast du gesehen, wie mich der Penner eben geschnitten hat? Arschloch, blödes.«
»Äh, okay, äh, nein, aber … können wir jetzt weitermachen?« Jule rückte an ihrer Brille und guckte wieder ins Skript. »Also, wo war ich?«
»Sag mal, wie kurzsichtig bist du eigentlich, Jule?«
»Keine Blindenwitze, Fräulein.«
»Okay«, meinte Ewa und seufzte kurz. »Aber nur mal so aus Neugier: Gab es bei Fielmann deine Brille nicht paar Zentimeter kleiner, Jule? Die ist voll der Oschi, die macht dich …«
»Bogacz!«
»So-sorry. Hab nichts gesagt.«
»Gut. Wir waren beim Sex. Und im Café Bruchbude ist Viola …«
»Cheeseburger.«
Irritiert blickte Jule auf. »Was? Ach so, nein. Ich meinte – Viola ist, mit einem s, nicht Viola isst mit doppel …«
»Doppelter Cheeseburger, boah genau, das wär’s. Pommes dazu, mit richtig geil Ketchup und Majo drauf. Mega.«
Genervt stöhnte Jule auf und pfefferte das Drehbuch achtlos auf die Rückbank.
Ewa warf ihr einen verunsicherten Seitenblick zu. »Was ist?«
»Hat keinen Sinn. Du bist überhaupt nicht bei der Sache.«
»Jule, ich fahre!«
»Und quengelst dabei rum in einer Tour.«
»Du hast doch die Marshmallows liegenlassen!«
»Fräulein, du weißt auch nie was du willst. Mal Marshmallows, dann einen Cheeseburger, mal Pommes …«
»Jule, ich habe einfach Hunger, verflucht!«
Hitzig rupfte Jule den Deckel von einer Tupperdose. »Dann iss das doch endlich!« Zuvorkommend stopfte sie Ewa eine Olive in den Mund und …
»Ichf
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