Violett ist erst der Anfang
riss die Augen auf.
»Hey, ich versteh jedes Wort. Du musst mir nur Bescheid sagen, wenn ich dir was übersetzen soll.«
Ey, ihr habt sie doch nicht mehr alle. Dieser Polentrupp kostete Jule definitiv Nerven. So verschanzte sie sich erneut hinter ihren Händen, stieg geistig bei dreizehn ein und zählte weiter hoch. Oooommm.
Piotr räusperte sich. »Dann übersetz bitte gleich mal, Ewa. Deine Jule sagt zwar nichts, aber was hat sie denn?«
»Ach …«, kam lässig von Ewa zurück. »Sie dachte vermutlich, ihr trennt euch so kurz vor der Hochzeit.«
Erst herrschte kollektives Schweigen, dann brach schallendes Gelächter aus beim Polentrio, als hätte Frau B. den besten Witz aller Zeiten gerissen. Jule hob den Kopf. Alicja klammerte sich prustend an einen Küchenschrank, Piotr klopfte immerzu wiehernd auf seine Zeitung, und Ewa? Die hielt sich offenbar nur mühsam unter Kontrolle, war knallrot und gluckste. Und ich wiederhole: Ihr habt sie doch nicht mehr alle.
Alicja wischte sich die Augen. »Wir … uns … trennen. Wie süß.«
»Wirklich niedlich, deine Kleine«, sagte Piotr mit Blick auf Ewa und tätschelte parallel mit der Rechten über Jules Kopf.
Der wurde dieser Zirkus allmählich zu bunt. »Ey, was zum Henker ist denn bitteschön so scheißkomisch jetzt? Beziehungen zerbrechen ständig!«
»Hach Jule«, seufzte Piotr langgezogen, als hätte er es mit einem besonders schweren Fall zu tun. »Ganz einfach. Dass Alicja und ich uns trennen, wird nie passieren. Ich liebe meinen Engel. Freiwillig werde ich diese Frau niemals verlassen. Also sterbe ich entweder in fünfzig Jahren als glücklicher Greis in ihren Armen, oder aber ich vermassel es, dann erschlägt sie mich früher.«
Bis dass der Tod euch scheidet, verstehe.
»Außerdem …«, fuhr Piotr fort. »Wir sind seit Urzeiten zusammen. Wir waren sogar auf der gleichen Schule und …«
»Das bedeutet gar nichts!«, brüllte Jule ihn an. Es kribbelte in ihr, alles flirrte vor ihren Augen, sie rang nach Luft, während Bilder zurückkehrten, diese beschissenen Bilder, gestochen scharf, und Hilflosigkeit sie schier erdrückte.
»Stimmt etwas nicht, Liebes?«, fragte Alicja in besorgtem Tonfall, doch da war Jule schon auf den Beine.
»Hey, wo willst du denn hin?« Ewa hielt sie zurück.
»Duschen.«
»Komm. Irgendwas klemmt, das sehe ich genau«, bohrte Ewa nach, und gegen diesen funkelnden Röntgenblick kam Jule nicht an, so sehr sie sich auch bemühte und auswich. Zu Spongebob, sieh an, der grillte auch heute.
Jule wischte sich eine Strähne aus der Stirn, verschränkte die Arme und nahm ihre nackten Zehen in den Fokus. »Weißt du …«, begann sie. »Weißt du, Ewa, es ist so, dass … also … Herrgott! Mich kotzt diese Liebesscheiße einfach an. Punkt!« Jule ballte die Faust. »Dieses saudumme Rumgesäusel! Ey, was macht Piotr denn, wenn sein ach-so-heiliger Engel ihn nicht abmurkst? Wenn Alicja eines tollen Tages die Koffer packt und abhaut und ihn sitzen lässt nach all den ach-so-glücklichen Jahren für irgendeinen dahergelaufenen …«
»Kaffee, Jule?« Ewas Stimme war sanft, und ihre Hände schlossen sich um Jules. Eine warme Berührung, wie Balsam auf alte Wunden, und augenblicklich wich die Anspannung aus Jules Fingern und ihr rasender Puls verlangsamte sich. Ab auf die Eckbank. Durchatmen. Fassung finden. Alicja kramte Tassen aus dem Schrank.
Ewa ging dazwischen. »Warte. Nimm die für Jule.«
Kaum stand der Becher voll Kaffee dampfend auf dem Tisch, huschte ein Lächeln über Jules Gesicht. »Der Willi.« Treudoof strahlte ihr der dufte Kumpel von Biene Maja entgegen, und so bescheuert es auch war, Jule stiegen Tränen in die Augen.
»Den magst du, ich weiß. Früher Team Willi. Und jetzt komm, ab auf meinen Schoß.« Ewa quetschte sich neben sie, zog sie mit geschicktem Griff auf sich und streichelte ihr liebevoll über den Rücken. Für einen Moment schloss Jule die Augen.
Alter, ey. Höchstens eine Stunde wach, und ich bin durch. Egal. Strich drunter. Ab jetzt wurde alles gut.
Da streckte ihr Alicja eine Kuchengabel entgegen. »Ich will zu jedem Stück deine Meinung, Liebes.«
»Wie bitte?« Zu allen achtzehn?
Jules Entsetzen, es ließ sich nicht in Worte fassen. Anstiftung zum Fressharakiri war das. Wollt ihr mich kotzen sehen? Schon allein beim bloßen Anblick der gewiss abartig süßen Kalorienbomben wurde ihr latent übel. Jule schluckte. »Alicja, ich … äh … hab leider gerade keinen Hunger. Tut mir wirklich
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