Violett ist nicht das Ende
Trumpf.«
Jule kratzte sich am Kopf. »Äh … weil?«
»Lesbisch klingt abstrakt. Mit einer bloßen Neigung kann man sich schwer auseinandersetzen, aber mit einem Menschen an Ihrer Seite schon. Ihre Eltern können sehen und spüren, ob ihre Tochter glücklich ist und das macht es leichter, etwas zu akzeptieren, was vorher fremd und undenkbar war. Wenn Sie und meine Ewka sich gegenseitig gut tun, verstummt früher oder später die Kritik, weil die Menschen, die Sie wirklich lieben, Jule, nichts angreifen können, was Sie unterm Strich bereichert.«
Allmählich schwirrte Jule der Kopf und sie massierte sich die Schläfen. »Warum ist es Ihnen so wichtig? Das Outing-Zeugs?«
Mama Bogacz seufzte. »Weil ich meiner Ewka eine Beziehung wünsche, in der sie nicht verleugnet wird, ganz einfach, Jule. Und weil …« Sie zögerte einen Moment. »Ich bin froh darüber, dass ich Bescheid weiß. Vollkommen egal, ob mir eine lesbische Liebschaft nun gefällt oder nicht. Viel schlimmer fände ich es, wenn mich Ewka außen vor gelassen hätte, aus Angst, ich würde ihr die Hölle heiß machen deswegen.«
»Und sehe ich das jetzt richtig, dass … Das alles gilt auch für Sie? Wenn Ewa und ich das hinkriegen, mit uns, kommen Sie klar damit, irgendwann. Oder?« Ein hoffnungsvoller Blick ins Grün.
»Ich gehe davon aus.«
»Und wir beide …«
»Wir müssen uns einfach besser kennenlernen, Jule. Ich mag Sie, wie gesagt. Aber bitte erwarten Sie nicht, dass ich Sie sofort an mein Herz drücke und Schwiegertochter nenne. Die hatte ich für meinen Sohn im Sinn, nicht für meine Tochter.«
»Danke«, rutschte es Jule heraus.
Wieder ging Mama Bogacz’ Augenbraue in die Höhe. »Wofür?«
»Für alles. Das war … Ich hab das echt nicht erwartet.«
»Was?«
»Dass Sie irgendwie so … so sind, einfach so direkt und so … sympathisch, finde ich. Die Mutter von meinem Ex war eine Kratzbürste. Ohne Witz. Die hätte ich stundenlang gegen die Wand hauen können, boah, wo die sich überall eingemischt hat, unfassbar. Bei jedem Besuch hat sie den betüddelt, als wär der noch fünf, und ständig diese Anrufe. ›Was gibt es bei euch heute zum Essen?‹ Ey, als würde ich für ihren Sohnemann stundenlang in der Küche stehen und Knödel rollen oder …«
»Sie können doch hoffentlich kochen, Jule.«
»Ja, aber nichts Großartiges wie Braten und so.«
»Sind Sie deshalb so dürr?«
Jule schluckte. »Äh … wie bitte?«
»Sie müssen dringend was an Ihrer Ernährung ändern, Jule. So ein schmales Ding wie Sie sollte …«
»Scheiße, hier seid ihr.« Total zerknautscht enterte der Zwerg die Küche. Verschlafen wuschelte sich Ewa durchs Haar und versuchte gleichzeitig ihren Kleinen liebevoll zu bändigen, der übermütig an ihr hochsprang.
»Zostaw!«, befahl Mama Bogacz. » Leżeć !«
»Boah Mama, ey, fahr ihn doch nicht immer so an.«
»Ewka, ein Hund braucht klare Regeln.«
»Ich weiß.«
»Dann sei nicht immer so nachgiebig mit ihm.«
»Er ist mein Hund.«
»Eben. Deshalb solltest du ihm begreifbar machen, dass …«
»Wenn mein Kleiner mich begrüßen will, dann darf der das. Inklusive Springen und Sabbern und …«
»Cześć, Ewka.«
»Cześć, Mama.«
Begrüßen war offenbar das Stichwort gewesen, voll der Fehler im Protokoll hier. Mit mildem Lächeln auf den Lippen breitete Mama Bogacz die Arme aus und Ewa nahm das Angebot seufzend an. Küsschen hier, Küsschen dort, eine Runde Knuddeln. Jule beobachtete das herzige Bild, in dem sich Muttis Miene schlagartig verfinsterte.
»Wie viel hast du abgenommen, Ewka?«
»Gar nicht.«
»Lüg nicht.«
»Mama, ey.«
»Du bist dünn.«
»Blödsinn.«
»Wie viel?«
»Drei Kilo.«
»Oh mein Gott!«
»Ich jogge, Mama.«
»Du trinkst zu viel Kaffee.«
»Und?«
»Ewka, deine Gesundheit …«
»Habe ich bestens im Griff.«
»Ist mein Päckchen angekommen?«
»Ja, natürlich.«
»Warum rufst du dann nicht an?«
»Ich hatte Stress.«
»Das sagst du ständig.«
»Es stimmt ja auch.«
»Ewka, diese 60-Stunden-Woche, die ganze Dreherei, du musst wirklich auf dich Acht geben und …«
»Mach ich doch.«
»Passen denn die Socken?«
»Wie immer, Mama.«
»Gott, und blass bist du auch.«
»Mama!« Ewa deutete auf die Wand. »Ey, guck mal auf die Uhr. Es ist mitten in der Nacht, ich bin müde und hab gerade voll den Schreck gekriegt.«
»Wegen mir?«
»Ne, wegen Jule. Weil die auf einmal weg war, obwohl ich sie die ganze Zeit im Arm hatte und ich … äh …«
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