Violett ist nicht das Ende
tattrig den Teebeutel auf und ab. Nix gegen Cowboy Luke, aber sie vermisste Bienenkumpel Willi auf der Tasse, irgendwas Beruhigendes. Diese Dame war wie ihre Haarfarbe – Nuss, schwer zu durchschauen. Sollte sie mit Smalltalk über Hamburgs Nieselwetter starten? Oder doch lieber die ungekünstelte Tour wagen, wohin auch immer sie führen mochte ohne Drehbuch?
Jule räusperte sich. »Na ja, das ist irgendwie so … so … unwirklich. Wir sitzen zusammen, dabei kenne ich Sie nicht. Also, äh, es ist schön, dass wir uns jetzt kennenlernen, Frau Bogacz, aber verdammt, ich hab keinen Plan. Brüllen Sie gleich oder heulen Sie los? Wobei Sie nicht aussehen, als würden Sie eines von beiden tun, aber bei Polen weiß man ja nie. Äh, das war nicht negativ gemeint. Ist nur so ein Erfahrungswert inzwischen, so ein Mentalitätsding, vollkommen wertfrei, und ich möchte ja nur, dass Sie mich mögen oder wenigstens leben lassen und …«
»Ich mag Sie, Jule.«
Jule blickte auf. »Echt?« Krass, ging das einfach.
»Ja.«
»Und wa-warum, wenn ich fragen darf?«
»Vielleicht hat meine Ewka es erzählt. Ich verpasse keine Folge von Liebes Leben . Wie Sie da die Babett spielen …«
»Aber ich bin nicht Babett«, unterbrach Jule hitzig. »Bitte, das müssen Sie mir glauben. Diese zugekokste Bitch, allein die quietschbunten Klamotten und wie die mit Viola umgeht am Anfang, boah. Und dann vögelt sie Nick. Äh, nur damit Sie im Bilde sind, kommt noch. Aber ich musste das tun, und ich schwöre, ich war heilfroh, als Manuel auf dem Klo die Hose wieder oben hatte und …«
»Jule, es sind Ihre Augen. Verstehen Sie?«
»Nicht so … ganz, äh, fürchte ich.«
Mama Bogacz lächelte. »Es ist vollkommen egal, wen Sie spielen und was das Drehbuch Ihnen vorschreibt. Oder was Sie anhaben und ob Sie Ihre Beine zeigen, von denen Alicja andauernd schwärmt. Zu recht, übrigens. Ich nehme an, Sie tanzen?«
»Ballett, richtig.«
»Früh angefangen?«
»Mit vier.«
»Wirklich?« Mama Bogacz klang überrascht. »Kommt man in diesem Alter überhaupt schon an die Stange?«
»Ne, aber ich wollte unbedingt. So mit Spitzenschuhen und Kleidchen und mit diesen geilen Glitzersteinchen, die da immer vorne drauf waren auf den Kostümen, und bei den Aufführungen gab’s manchmal Krönchen für die Hauptrollen, die dann …«
»Oha. Ehrgeizig sind Sie schon mal.«
Jule schluckte. »Finden Sie das schlimm?«
»Ich hatte es erwartet. In Ihren Augen spiegelt sich sehr viel von Ihnen, Jule. Ist bei meiner Ewka genauso. In jedem Blick blitzt ihr Temperament auf, ihr großes Herz. Und was ich bei Ihnen sehe, Jule, gefällt mir. Sogar sehr.«
»Danke.« Klingt nach Pluspunkt. »Und … äh, dass Ewa und ich nun zusammen … also ein Paar … sind? Pri-Privat?«
»Das wird vermutlich irgendeinen Grund und Sinn haben.«
Ein Ruck ging durch Jule. »Wow!«
»Heißt?« Mama Bogacz hob wieder die Augenbraue.
»Na ja, also … das beutet … Sie haben kein Problem damit?«
»Doch. Sonst wäre ich wohl kaum nach Hamburg gefahren, oder?«
»Oh.« Jule wurde heiß.
»Nach Alicjas Anspielungen am Telefon musste ich reagieren.«
Petze, das war’s mit deinem Denkmal. »Verstehe.«
»Wohl kaum, Jule. Oder sind Sie Mutter einer homosexuellen Tochter?«
»Äh … ne, ‘tschuldigung.«
»So eine Nachricht steckt man nicht einfach so weg. Einer Mutter gehen tausend Dinge durch den Kopf, Ängste, Fragen.«
»Zum Beispiel?«
Mama Bogacz holte tief Luft. »Warum meine Tochter? Hat sie etwas gegen Männer und falls ja, weshalb? War meine Erziehung falsch? Schadet ihr eine derartige Beziehung? Welche Konsequenzen hat das für Ewkas Leben, für unsere Familie, womöglich auch für ihren Beruf? Wie wird ihr Umfeld reagieren? Ist das nur eine Phase? Warum hat Ewka nie einen Freund mit nach Hause gebracht? Hat sie all die Jahre hinter meinem Rücken ein Doppelleben …«
»Stopp!« Jule hob die Hände. »In dem Punkt kann ich Sie beruhigen. Ewa war in den letzten Jahren sicherlich so einiges, aber nicht lesbisch. Der Trend ist neu.« Brandneu gewissermaßen.
»Ich weiß.«
»Ach.«
»Alicja war mir eine große Hilfe vorhin. Sie hat viel zerstreut von dem, was mir im ersten Moment auf der Seele lag. Jule, Sie müssen die Frage nicht beantworten, aber …« Mama Bogacz zögerte kurz. »Ist Ewka Ihre erste Frau?«
Jule nickte.
»Ein Experiment?«
»Boah, ne! Das ist schon … ernst, jetzt, inzwischen.«
»Wie fühlt es sich an, lesbisch zu sein?«
Jule
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