Violett ist nicht das Ende
okay? Bitte …« Sie warf ihr einen eindringlichen Blick zu.
Ewa schnaufte. »Socken?«
»Oh … äh, gerne.« Jule kräuselte ertappt ihre nackten Zehen. »Und vielleicht noch meine Strickjacke, Süße?«
»Na schön. Deine Entscheidung. Aber Jule, wenn Mama dich irgendwie blöd anquatscht und rumbohrt und dich bedrängt, dann …«
»Schrei ich Ratunku.«
Zärtlich küsste Ewa ihr die Stirn. Dann stand sie auf, bedachte Mama Bogacz mit einem verärgerten Blick und klopfte sich auf den Oberschenkel. Schwanzwedelnd folgte der Kleine seinem Frauchen, das sich trotzig einen Keks zwischen die glühenden Wangen stopfte und krachend die Tür hinter sich zuschlug. Ring frei. Mama Bogacz attackierte mit funkelndem Grün. Aber Flucht war ausgeschlossen. Irgendwie musste Jule vermitteln zwischen eskalierenden Bogacz-Frauen, bevor etwas unkittbar zu Bruch ging.
»Klingt wichtig, Jule.«
»Ist es. Stichwort Kinder.« Sie schluckte. »Da … da sollten Sie vielleicht … na ja … wissen, dass …«
Mama Bogacz lehnte sich zurück. »Ich höre.«
»Ewa ist explodiert, weil … weil … der Grund dafür … der … der bin ich, fürchte ich.« Für einen Moment schloss Jule die Augen. »Es gab da mal … ich … damals … da hab ich … Sie müssen wissen … ich war … und dann hab ich … mein Kind verloren. 15. Woche. Passiert, nicht so schlimm, dachte ich, aber … Irgendwie steckt mir das noch in den Knochen. Ewa weiß davon. Deshalb ist das Thema ein rotes Tuch. Denn ich kann nicht … also, ich will nicht … das … nicht noch mal … verstehen Sie?«
»Das tut mir sehr leid«, flüsterte Mama Bogacz.
»Ich rede eigentlich nicht darüber. Nie. Aber durch Ewa … Auf einmal war alles wieder da. Krümel und …«
»Krümel?« Mama Bogacz hob den Kopf.
»Äh …« Jule fuhr sich durchs Haar. »So haben wir ihn genannt jetzt. Schräg, schon klar. Nur irgendwie tut es gut, einen Namen zu haben, für … mein Kind. Krümel war ja noch viel zu klein, zu klein generell, er ist einfach nicht mehr gewachsen, und …«
»Brzdąc und Krasnal.«
»Äh … tschuldigung. Wie bitte?«
»Knirps und Zwerg.«
»Auch schön, nur haben wir schon was Deutsches genommen. Und ich finde eigentlich, ein Name reicht. Weiß der Geier, warum mir meine Eltern gleich drei verpasst haben. Maria wegen katholisch, klar, aber Mechthild? Pfff. Ewa nennt mich schon Hilde und …«
»Brzdąc und Krasnal habe ich meine beiden getauft.«
Jule traute ihren Ohren nicht. »Wie jetzt? Hei-Heißt das, dass … ne, oder?«
Ewas Mutter zupfte schweigend an der Verpackung der Prinzenrolle rum.
»Frau Bo-Bogacz, aber …«
»Tja.«
»Aber Sie sind doch, ich meine, wie kann das sein?«
Mama Bogacz räusperte sich. »Mein Mann und ich wollten immer eine große Familie. Es hat auch sofort geklappt. Wir wurden Eltern einer wundervollen Tochter. Aber dann … Brzdąc habe ich etwa in der 9. Woche verloren, ein halbes Jahr später Krasnal in der 12. Damals lief das noch nicht so präzise wie heute. Der Arzt konnte auch keine Gründe nennen. Stress, die Hormone, man weiß es nicht. Mein Mann hatte sich schon damit abgefunden, aber ich … Ich wollte was anderes, also habe ich weiter gehofft. So kam unsere Ewka, zwei Jahre darauf dann unser Jüngster. Ich bin stolze Mutter von drei gesunden, fantastischen Kindern, Jule. Und Brzdąc und Krasnal gehören ebenfalls zu mir.«
»Shit«, rutschte es Jule heraus. »Ich meine … krass. Also, es tut mir leid. Furchtbar leid. Ich hatte ja keine Ahnung, dass …«
»Wie auch?« Mama Bogacz lächelte leicht. »Es steht uns nicht auf der Stirn.«
»Weiß Ewa davon?«
»Nein. Und den Grund dafür kennen wir beide, Jule.« Mama Bogacz ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. »Wir Frauen reden über alles. Gern und lang. Aber nicht über unsere kleinen Engel, die wir niemals im Arm halten durften.«
Jule kroch ein Schauer über den Rücken. Ihre Blicke trafen sich. Ein stummer Austausch. Gefühle, die sie beide kannten. Schmerz, den sie beide teilten. Ein bitterer Cocktail. Mama Bogacz nippte an ihrem Tee. Jule spielte fahrig mit ihrem Löffel. In ihrem Kopf drehte sich alles.
»Ich … hab’s verbockt, dachte ich immer. Ich hab was falsch gemacht. Es liegt an mir«, sagte sie schließlich mit leiser Stimme. »Manchmal, da … krieg ich … keine Luft. Das ist wie …«
»Als würde man tauchen, Jule. Zu lange.«
»Und man will hoch, da wieder raus, sofort, aber …«
»Irgendwas hält einen fest, zieht
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