Violett ist nicht das Ende
Brausekopf hing seitlich in den Raum. Aber hell war alles, weiß und freundlich, dank einer Deckenluke. Nett. Hätte Jule nie vermutet. Wie mochte wohl der Rest des Luxuskutters aussehen? Jule öffnete die Tür und stutzte.
»Ewa?« Keine Reaktion. Der Kleine kauerte friedlich im Zentrum des Schiffsalons unter einem Tisch, der wie ein Schmetterling seine Flügel, äh, die Platten eingeklappt hatte. Links und rechts davon stand jeweils eine breite Sitzgruppe in Bettlänge, sehr chillig und schick mit cremefarbenen Kunstlederpolstern. Durch schmale Seitenfenster fiel lauschig Tageslicht in den Raum. Wände und Hängeschränke waren aus Mahagoni, ebenso die Miniküche. Spüle, Zwei-Platten-Herd mit einem Backofen darunter und einer Mikrowelle darüber. Wow. Alles da. Bis auf Ewa. Steckte die an Deck? Ne, die Luke dorthin war zu und überhaupt, warum sollte sie den Kleinen hier unten lassen? Machte keinen Sinn, zumal der Fiffi nicht lassie-like jaulte, als hätte Frauchen außerplanmäßig einen Köpfer über die Reling gemacht. Ihre Einkäufe standen gestapelt neben der Kaffeemaschine auf der Anrichte. Ergo: Bogacz an Bord.
»Ewa?« Wieder nichts. Langsam wurde Jule mulmig. Sie ging zur ersten Tür im Raum, drückte die Klinke und – Shit. Schützend riss sie die Arme über den Kopf. Ein Eimer polterte ihr entgegen, dann ein Besen, Schwimmwesten und zu guter Letzt Wolldecken. Bingo, Schweitzer. Willkommen im Wandschrank. Tja. Das Abstelllager half ihr aktuell leider gar nichts, Besen war nicht Bogacz. Schnell sortierte sie wieder alles an Ort und Stelle und marschierte einmal quer durch den Salon zur nächsten Tür. Vorsichtshalber ging sie in Deckung, atmete tief durch, riss sie auf und – hach …
Da lag er ja, der süße Zwerg. In einer abgedunkelten, hauptsächlich aus Bett bestehenden Kabine. Wie K.o.-geschlagen auf dem Rücken, Alicjas Anorak zerknautscht neben sich, die Augen geschlossen, schnorchelte Ewa vor sich hin. Knuffig sah sie aus. Und restlos erschöpft. Zu recht. Mal kurz überlegen: Wie viel Schlaf hatten sie abgekriegt an diesem Wochenende? Wenig, definitiv zu wenig. Jule fackelte nicht lange. Behutsam puhlte sie ihrer träumenden Freundin die Chucks von den Füßen, zögerte, und pellte ihr die Jeans von den Beinen. Uff und wow, süß, diese Ringelsocken. Jule lenkte ihre Libido auf erdende Details. Sie schälte sich aus ihren Klamotten, sauste zurück durch den Salon und holte aus der Abstellkammer eine Decke. Sie wickelte Ewa in die eine Hälfte und schmiegte sich daneben, so eng wie möglich. Liebevoll hauchte sie noch ein Küsschen aufs rote Ohr, flüsterte ein »Schlaf schön«, kuschelte ihren Kopf an Ewas Schulter, schloss die Augen und driftete ab. Erst im phänomenalen Meer-Duft, dann endlich-endlich ins wundervolle Land der Träume.
»Scheißdreck!«
Der Ruf der polnischen Lerche. Guten Morgen. Oder guten Mittag oder … Sekunde. Jule fasste sich an den Kopf. Ein Gedanke nach dem anderen. Sie lag in der abgedunkelten Koje – schön. Unter der kuscheligen Decke – ebenfalls schön. Der Platz neben ihr war leer – definitiv unschön. Also linste sie durch den Spalt der geöffneten Tür in den Salon. Dort entdeckte sie Ewa und auch wieder nicht. Mal tauchte sie auf, dann wieder ab. Sah irgendwie so aus, als machte sie im Schutz der Küchenanrichte vor dem Herd Kniebeugen. Ne, das ergab keinen Sinn. Selbst bei Miss Frühaufsteherin nicht, denn warum sollte sie dabei fluchen?
Seufzend klappte Jule die Decke beiseite und stand auf, stutzte. Kurzer Stimmungs-Check. Doch, ja, irgendwie gab’s nichts zu meckern. Merkwürdig. Sie fühlte sich ausgeruht, ausgeschlafen und so blendend aufgelegt wie schon lange nicht mehr. Grübchenlächelnd enterte Jule den Raum.
Ewa zuckte zusammen. »Boah, hast du mich erschreckt.«
»Wen hast du denn erwartet?«
»Niemanden, ich … Shit, hab ich dich etwa geweckt?«
Jule verdrehte die Augen, sparte sich jedoch einen Kommentar. »Was hampelst du da eigentlich so rum?«
»Jakub, dieser Idiot. Der stopft die Schränke immer total chaotisch voll und eben ist mir alles entgegengesegelt.«
»Verstehe.« Jule trat zu Ewa und besah sich das Durcheinander aus Tee, Nudeln, Instant-Suppen, Alufolie, Strohhalmen, Zahnstochern etc. pp. am Boden. »Was suchst du denn konkret?«
»Kaffee.«
»Liegt da nicht.«
»Aber Jakub hat welchen, hundertpro.« Ewa stellte sich auf Zehenspitzen und schielte empor zum geöffneten Hängeschrank.
Jule schmatzte ihr ein
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