VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
»Ich hoffe, Katherine kommt bald. Sie sollte nicht das Abendessen verpassen.«
»Wer ist Abby?« Ich hoffte, dass Sylvia in ihrer Erinnerung nicht alles durcheinanderwarf.
»Abby Quimby ist Katherines beste Freundin. Kennen Sie sie denn nicht? Sie machen einfach alles gemeinsam.«
Hi startete einen neuen Versuch. »Welchen Strand mag Katherine denn am liebsten? Vielleicht ist sie dort wegen ihres Projekts hingegangen.«
Die wässrigen blauen Augen schienen fortzuschwimmen. Mehrere Sekunden vergingen. Dann sagte sie: »Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?«
»Wir haben über Katherine gesprochen, Mrs Briggerman«, sagte ich lächelnd.
»Katherine ist nicht da.«
Ich warf Hi einen kurzen Blick zu. Zeit zu gehen. Er nickte.
»Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Ma’am«, sagte ich. »Können wir noch etwas für Sie tun, ehe wir gehen?«
»Sie könnten mir einen Gefallen tun!« Erstaunlich lebhaft stand die alte Frau auf und trippelte ins Nebenzimmer. Hi und ich tauschten Blicke. Er zuckte die Schultern. Im nächsten Moment kehrte sie mit einem hellblauen Pullover zurück.
»Bitte geben Sie Katherine den zurück, wenn Sie sie sehen. Es ist ihr Lieblingspullover. Ich will nicht, dass sie sich erkältet.«
Was sollten wir tun? Wir konnten den Pullover doch nicht an uns nehmen. Aber zurückweisen konnte wir ihn auch nicht.
Es war schrecklich, die alte Frau anzulügen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre geliebte Nichte vor vielen Jahren verschwunden war. Es brach mir das Herz.
Mein Magen zog sich zusammen. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Ich musste hier weg.
Sofort.
KLICK.
Ein elektrischer Stoß durchzuckte mich. Meine feuchten Augen schienen in Flammen zu stehen. Meine Sinne hatten den Turbo eingeschaltet.
Hi bemerkte die Veränderung meiner Augen und trat zwischen mich und Sylvia.
»Mrs Briggerman, haben Sie noch genug Eiswürfel? Wir sollten lieber mal nachschauen.«
»Eiswürfel?«
Hi führte die verwirrte Sylvia in die Küche.
Eine Uhr tickte wie ein überlautes Metronom. Der Kühlschrank im Nebenraum dröhnte.
Instinktiv vergrub ich meine Nase in Katherines Pullover. Sog den Geruch in mich auf.
Zunächst roch ich nur Staub und Wolle. Dann nahm ich eine delikate Mischung verschiedener Aromen wahr. Shampoo. Schweiß. Clearasil.
In meinem Gehirn setzte sich ein vages Bild zusammen.
Verflüchtigte sich wieder.
Ich musste später versuchen, es wieder zu aktivieren.
Tock, tock.
Miss Parrish stand auf der Schwelle. »So, ich glaube, Sylvia sollte sich jetzt wieder ausruhen.«
KLACK.
Mein Kopf wurde wieder klar. Doch der unverwechselbare Geruch von Katherines Pullover hatte sich in mein Gedächtnis eingegraben.
Ich fing His Blick auf, machte eine seitliche Kopfbewegung in Richtung Tür.
»Auf Wiedersehen, Tante Syl!«, sagte ich laut. »Wir kommen bald wieder!«
Sylvia nahm erneut ihren Platz auf dem Sofa ein und breitete ihren langen Satinrock wie einen Fächer um sich aus. Ohne unseren Abschied wahrzunehmen, lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und begann zu schnarchen.
Ich legte den Pullover neben sie.
Während der Rückfahrt mit dem Bus suchte ich in meinem iPhone nach dem Namen Abby Quimby und fand zwei Einträge.
Ich wählte die erste Nummer. Kein Anschluss.
Probierte es mit der zweiten.
Beim dritten Freizeichen meldete sich eine Frauenstimme.
»Abby Quimby?«
»Ja?«
Mehr neugierig als misstrauisch.
Ich verlor keine Zeit. »Katherine Heaton?« Ms Quimby klang geschockt. »Ich habe diesen Namen seit vierzig Jahren nicht gehört. Um Gottes willen, ist sie gefunden worden?«
»Nein, tut mir leid.« Ich hasste es zu lügen, doch ich musste vorsichtig sein. »Ich aktualisiere unsere Dokumentation für das DOE-Network. Ich dachte, Sie könnten uns vielleicht irgendwelche Informationen geben, die wir noch nicht berücksichtigt haben.«
»Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber eigentlich habe ich der Polizei schon alles gesagt, was ich weiß. Über den Tag, an dem sie verschwunden ist. Wir waren zum Lunch verabredet, aber sie ist nie erschienen.«
»Sylvia Briggerman hat mir erzählt, dass Sie gemeinsam an einem naturwissenschaftlichen Projekt gearbeitet haben.«
»Ja, das stimmt.« Abby Quimby zögerte kurz. »Wissen Sie, ich hatte das bei der Polizei nicht zu Protokoll gegeben, weil
ich es nicht für wichtig hielt. Es hat mich auch nie wieder jemand danach gefragt.«
»Könnten Sie mir davon erzählen?«
»Wir sollten bestimmte
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