VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
Jungenach mir umdrehen.
Außerdem – schock! – wies mein sozialer Terminkalender tatsächlich noch ein paar Lücken auf.
»Wer weiß«, sagte ich zu dem leeren Raum. »Vielleicht
wählt ein attraktiver aristokratischer Junggeselle in der Nacht der Nächte ja ausgerechnet mich aus dem Jungfrauenpool aus!«
Schon wieder so ironisch. Was ist an einem Debütantinnenball eigentlich so schlimm? Und ich könnte wirklich die eine oder andere Freundin gebrauchen. Um ehrlich zu sein, ich hab keine einzige.
Ich wusste, dass Kit sich Vorwürfe wegen der Ebbe an der Mädelsfront machte, aber das war ja nicht seine Schuld. Zwischen mir und den einheimischen Gören hatte es einfach noch nicht Klick gemacht.
Ganz im Vertrauen: Es lag auch ein klein wenig an mir, dass ich links liegen gelassen wurde. Natürlich waren die Mädchen an der Bolton Prep unausstehliche, nervtötende Barbie-Roboter, die mich gnadenlos aufzogen. Die meisten von ihnen fand ich oberflächlich und langweilig. Ich zeigte nie das geringste Interesse an ihrer vordergründigen Welt. Die Abneigung beruhte also auf Gegenseitigkeit. Außerdem bin ich nicht auf den Kopf gefallen und ziehe den Notendurchschnitt meiner Klasse nach oben. Das hat mich nicht gerade beliebter gemacht.
Hinzu kommt, dass ich mit meinen gerade mal vierzehn Jahren die Jüngste in der Klasse bin. Als ich zwölf war, fand ich es toll, eine Schulklasse zu überspringen. Aber damals habe ich nicht daran gedacht, was passieren würde, wenn ich auf die Highschool komme. Jetzt hatte ich die Kehrseite kennengelernt. Bis zum Ende des dritten Highschooljahres würde ich keinen Führerschein machen dürfen.
Ich kannte die Spielregeln. Um Freundinnen zu gewinnen, musste ich so tun, als sei ich an den dämlichen Hobbys der Spatzenhirne interessiert. Jungs. Shopping. Realityshows, in denen reiche Hohlköpfe ohne jedes Talent auftreten.
Wenn ich so drüber nachdachte, verschaffte mir mein Außenseiterdasein zumindest hinreichend Gelegenheit zum Lesen.
Dass ich auf der sozialen Leiter ziemlich weit unten rangierte? Was soll’s.
Bei noch weiterem Nachdenken bot ein Tanzkurs mir allerdings die Möglichkeit, an monatlichen Events teilzunehmen, die schließlich im großen Novemberball münden würden, und das konnte mir unter den Debütantinnen ein paar Freunde mit Doppel-X-Chromosom bescheren.
Aber dann hätte Whitney gewonnen. Und das konnte ich nicht zulassen. Oder doch?
Ich ließ mich auf mein Kissen sinken, während verschiedene Sorgen um die Vorherrschaft in meinem Innern kämpften. Coop. Whisper. Kit. Whitney.
An Whitney zu denken, war stets schmerzvoll, weil ich dann auch an Mom denken musste.
Meine Mutter, Colleen Brennan, wuchs in einer kleinen Stadt in New England namens Westborough auf. Sie und Kit haben sich in einem Segelcamp am Cape Cod kennengelernt. Beide waren damals sechzehn. Vielleicht ist ihm Mom zunächst aufgefallen, weil sie denselben Nachnamen trug wie die Familie seiner Mutter. Vielleicht auch nicht. Den Namen Brennan gibt’s häufig genug. Wahrscheinlich ist sie ihm aufgefallen, weil sie eine Schönheit war. Das reicht bei den meisten Jungs.
Kit und Colleen haben sich bestimmt vergewissert, dass sie nicht miteinander verwandt waren, bevor sie sich zusammentaten. Mit großem Erfolg. Neun Monate später kam ich auf die Welt.
Ich weiß nicht, warum Mom meine Existenz vor Kit geheimgehalten hat. Sie hat ihn nie wiedergesehen. Wahrscheinlich
hat sie ihm die Vaterrolle nicht zugetraut. Nun ja, da mag sie gar nicht so falsch gelegen haben.
Die ersten Jahre haben Mom und ich mit ihren Eltern zusammengelebt, doch sie starben, als ich noch ein Kleinkind war. Ich erinnere mich nur noch an graue Haare und Kekse und den Geruch von Zigaretten. Ihre Lungen waren wie Schweizer Käse, was sie aber nicht vom Rauchen abgehalten hat. Darüber will ich mich gar nicht erst auslassen.
Ein Kind allein großzuziehen muss für Mom ganz schön anstrengend gewesen sein. Sie hat die Highschool nie zu Ende gebracht. Bestimmt wegen mir. Sie hat gekellnert, bei Walmart gejobbt und dann in einem Kino gearbeitet, ehe es dichtmachte. In dieser Zeit habe ich einen Leistungskurs nach dem anderen besucht, weil meine Lehrer mich für ein Genie hielten. Mom hat nie zu erkennen gegeben, dass ihr das irgendwas ausmachte.
Ich war so in meinen Erinnerungen befangen, dass ich das Signal meines Handys erst gar nicht wahrnahm. Aufgeschreckt wühlte ich mich aus meiner Bettwäsche, fand es schließlich und
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