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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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eine Kiste unsanft auf den Zementboden gestellt wurde.

    Der Markt war in ein Labyrinth von kleinen Sträßchen gezwängt. Hayden liebte es, zwischen den Menschen herumzuschlendern; auch nach zwei Jahren hier setzte ihn allein die Tatsache, dass die Stadt aus mehr als einen Zylinder bestand, noch in Erstaunen. Die rostigen Räder lieferten Schwerkraft für mehr als dreißigtausend Einwohner. Zählte man die vielen umliegenden Habitate und die zahllosen Einzelanwesen hinzu, die wie verstreute Samenkörner ringsum in der Luft hingen, dann kamen fast hunderttausend Menschen zusammen. Dadurch entstand eine Anonymität, die für einen unglücklichen jungen Mann geradezu berauschend war. Hayden konnte unter Menschen und doch für sich sein, und das gefiel ihm.
    Er hatte einen langen Tag auf dem Fanningschen Besitz hinter sich und war todmüde; aber wenn er jetzt in sein Pensionszimmer zurückkehrte, würde er nur so lange hin- und herlaufen, bis sich die Nachbarn im Stockwerk darunter beschwerten. Er würde sich die Haare raufen und wie ein Geistesgestörter vor sich hinbrabbeln. Und das wollte er nicht.
    Bei einem Straßenverkäufer, bei dem er Stammkunde war, hielt er an und kaufte sich ein Teebrötchen, dann ging er weiter durch die gewundene Gasse mit den verblichenen Holzhäusern zu beiden Seiten. Slipstreams Sonne wurde turnusgemäß gewartet, und so hatten sich Dunkelheit und Kälte über die Stadt gesenkt. Hier und dort saßen Obdachlose zwischen den Häusern um ein Metallfass, in dem ein Feuer brannte, und knöpften jedem, der stehen blieb, um sich die Hände zu wärmen, einen oder zwei Groschen ab. Hayden unterhielt sich manchmal mit diesen Männern,
deren Gesichter nur verschwommene, von unten angestrahlte Flecken waren. Bisweilen bekam er von ihnen wertvolle Informationen, aber er verriet nie etwas über sich selbst, am wenigsten seinen Namen.
    Er war seinem Ziel so nahe und konnte doch nicht handeln - es war unerträglich. Stundenlang wanderte er als gehorsamer Diener durch das Fanningsche Anwesen, während in seinem Geist wilde Szenarien abliefen: Fanning ging in Gedanken versunken im Korridor an ihm vorbei; Hayden schlich sich in die Admiralität, ohne von der allgegenwärtigen Sicherheitspolizei bemerkt zu werden … Müßige Gedankenspielereien. Die Chance wollte nicht kommen, und er verlor allmählich die Geduld.
    Heute hatte er Venera Fanning wieder geflogen - ganz unnötigerweise, denn sie hätte leicht die Seilbahn nehmen können. Was sie bewog, sich auf sein Bike zu setzen, war ihm nicht klar. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, hatte er festgestellt, dass an seiner Jacke noch ein Hauch ihres Parfums haftete. Der Duft war ebenso betörend wie sie selbst mit ihrem Porzellanteint - nur die Narbe am Kinn störte ein wenig - und dem Haar von der Farbe des Winterhimmels. Doch so reizvoll sie auch sein mochte, sie war ohne jeden Zweifel das herzloseste menschliche Wesen, das ihm jemals begegnet war. Und sie schlug aus ihrer Schönheit Kapital.
    Wie seltsam, dass ausgerechnet sie die erste Frau war, die er seit seiner Ankunft in Rush auf seinem Bike mitgenommen hatte.
    Etwa in der Mitte der Gasse zweigte ein blinder Gang ab. Ein Messerhändler hatte seinen Verkaufstisch
quer über die ganze Breite gestellt und seine Zielscheiben dahinter an die leere Hauswand gehängt. Hayden blieb stehen, nahm ein schmales Wurfmesser vom Tisch und balancierte es auf einem Finger. Er hielt es zuerst mit der Schneide von sich weg, dann drehte er es um neunzig Grad.
    »Es fliegt immer gut, wohin die Schwerkraft auch gerade wirkt«, sagte der Händler, der in diesem Licht nur eine schwarze Silhouette war. Der Schein einer fernen Straßenlaterne fiel auf seinen hellen Hemdkragen. Sein Arm, ein schwarzer Fleck, bewegte sich undeutlich. »Probieren Sie es ruhig aus.«
    Hayden balancierte das Messer noch einmal für eine Sekunde auf dem Finger, dann schnellte er es hoch, fing es hinter dem Handschutz auf und warf es mit einer knappen Bewegung aus dem Handgelenk. Es bohrte sich mit sattem Geräusch ins Zentrum einer Scheibe. Der Händler quittierte es mit beifälligem Gemurmel.
    »Das ist aber noch nicht mein bestes Stück«, sagte er dann und wackelte zurück, um das Messer zu holen. Seine fleckige Hand wurde kurz sichtbar, als er es aus der Scheibe zog. »Nehmen Sie das hier.« Wieder an den Tisch zurückgekehrt, kramte er in einem Kasten, förderte ein langes pfeilförmiges Exemplar zutage und reichte es Hayden. Der musterte es

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