Virga 01 - Planet der Sonnen
Wirklichkeit rund war und sich drehte. Über Chaison spannte sich ein endloser blauer Himmel, und die Zuckerbäckertürme schienen aus einer ebenen Fläche herauszuwachsen. Die Straßen liefen perspektivisch zusammen und verschmolzen schließlich mit dem unruhigen Mosaik von Gebäuden, Menschen und undefinierbaren schwebenden Leuchtgebilden. Einige waren Schilder - aber die meisten waren mobil, und einige konnten, wie er festgestellt hatte, sogar sprechen.
Die Menschen waren nicht weniger bizarr. Bekleidet waren sie - wenn überhaupt - mit schlechten Kopien verschiedener virganischer Modestile. Und es gab sie in allen Größen und Hautfarben, darunter auch in so unwahrscheinlichen wie Blau und Zinnoberrot. Sie drängten sich millionenfach auf den Straßen, redeten
unentwegt und deuteten mit den Händen auf matt flimmernde Quadrate, die wie Bienen ihre Köpfe umschwirrten. Über diese Quadrate huschten Bilder wie Wetterleuchten. Der Lärm war unbeschreiblich.
Chaison und Venera mussten sich beeilen, um Aubri Mahallan, die mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern durch die Menge schritt, nicht aus den Augen zu verlieren. Der seltsame Pförtner, von dem die Krähe an den Dockanlagen in Empfang genommen worden war, hatte darauf bestanden, dass nicht mehr als zwei von den Insassen sie begleiteten. »Keine Fotos«, hatte er in einem eigentümlichen Akzent gezischelt. Kleinere Versionen seiner selbst - identisch bis hin zu den Kleidern - hockten ihm auf der Schulter oder rannten lachend hinter ihm durch den Gang. »Kein Gegenstand wird mitgenommen, hierlassen können Sie, so viel Sie wollen.«
»Wir wollen ein Kunstwerk zurückholen, das vor zweihundert Jahren an eines Ihrer Museen verliehen wurde«, hatte Venera gesagt. »Es gehört nicht Ihnen, es gehört uns.«
Er hatte nur eine Augenbraue hochgezogen, während ihr eine seiner kleineren Kopien die Zunge herausstreckte. »Das müssen Sie mit dem Museum klären«, hatte er gesagt. »Dafür bin ich nicht zuständig.«
Chaison ging schneller, bis er auf gleicher Höhe mit Mahallan war. Sie wirkte immer noch verkrampft und mürrisch. Er suchte nach einem Gesprächsthema und entschied sich schließlich, das anzusprechen, was sie wohl am meisten verärgert hatte. »Ich musste die Piraten laufen lassen«, sagte er. »Wir hätten das Abkommen brechen und sie beschießen können, als sie abzogen,
aber dann hätte womöglich auch die Krähe noch die eine oder andere Rakete abbekommen.«
Sie zögerte kurz, dann warf sie ihm einen erbosten Blick zu.
»Ist das der Grund?«, fragte sie. »Weil Sie fürchteten, sie würden die Krähe zerstören?«
»Es ist ein hinreichender Grund«, sagte er. »Aber nein, es ist nicht der einzige. Wir hatten ein Abkommen geschlossen. Und obwohl meine gesamte Besatzung und alle meine Offiziere nach Rache schrien, verlangte meine Ehre, dass ich mein Wort hielt. Noch wichtiger war, dass ich nicht den Wunsch hatte, in dieser Woche weitere Tote auf mein Gewissen zu laden.«
Mahallan dachte über diese Antwort nach, aber ihre Miene hellte sich nicht auf. »Sind Sie nicht froh, wieder unter Ihren Landsleuten zu sein?«, fragte er.
»Nein.«
Das Schweigen dehnte sich in die Länge. Mit unverbindlichen Höflichkeiten war offensichtlich nicht an sie heranzukommen. »Nun haben Sie die Schiffe der Flotte in einem richtigen Kampfeinsatz erlebt«, sagte er nach einer Weile. »Wenn sich Ihre Meinung über die Nützlichkeit Ihrer Geräte dadurch in irgendeiner Weise geändert haben sollte, werden Sie mir das hoffentlich mitteilen.«
Mahallan sah ihn aufgebracht an. »Mehr war es nicht für Sie? Ein ›Kampfeinsatz‹? Den man hinterher auseinandernehmen, analysieren und zum späteren Gebrauch einmotten kann?«
Chaison ließ sich von ihrem Ausbruch nicht aus der Ruhe bringen. »Tatsächlich gehört es zu meinen Aufgaben, es so zu betrachten. Warum? Weil nur Verständnis
dessen, was geschehen ist, die Hoffnung bietet, beim nächsten Kampf, den man uns aufzwingt, mehr Leben zu retten. Und Leben zu retten ist mein Beruf, Lady Mahallan. Mein ganzes Streben ist darauf gerichtet, militärische Ziele mit möglichst geringen Verlusten an Menschenleben zu erreichen. Dazu sind wir doch auch in dieser Stadt und auf diesen Straßen, nicht wahr?«
Sie blieb stehen und zeigte in eine düstere, menschenleere Seitengasse. »Da. Der Eingang zum Archiv des Museums für Virganische Kultur.« Dann bog sie noch flotteren Schrittes in die schmale Passage ein.
»Es … es
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