Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
Manche hat sie damit vergrault. Aber so ist das nun mal bei erfolgreichen Menschen.«
Virgil verbrachte zehn Minuten in der Hütte, in denen er sich zügig, aber gründlich umsah.
Erica McDill hatte zwei große Koffer dabeigehabt. Der eine war leer; die Kleidung befand sich in einem Schrank und einer Kommode. Der andere Koffer war zum Teil gefüllt – darin lagen eine Plastiktüte mit Schmutzwäsche sowie Beutel und Behälter mit persönlichen Dingen, Parfüm und Pflegeartikeln. In keinem der Kleidungsstücke steckte ein Zettel.
In ihrer Handtasche entdeckte er eine schmale Brieftasche mit etwas mehr als achthundert Dollar in bar. In einem Wells-Fargo-Umschlag verbargen sich weitere dreitausend. Virgil ging die Papiere in der Brieftasche durch: eine aktuelle Angellizenz für Minnesota, erworben kurz vor ihrer Fahrt zum Eagle Nest, eine Bonusmeilenkarte von Northwest, Versicherungs- und fünf Kreditkarten – Virgil nahm sich vor, ihren Kontostand und ihre finanzielle Lage zu überprüfen –, eine Karte von Mercedes-Benz für eventuelle Pannen, dazu Fördermitgliedsausweise für mehrere Museen, darunter das Minneapolis Institute of Art, das Walker Art Center, das Museum of Modern Art und das Metropolitan Museum of Art in New York, das Norton Simon Museum in Pasadena und das Art Institute of Chicago.
Eine Kunstliebhaberin.
Bei den anderen Papieren fand er einen Zettel. Als er ihn entfaltete, kam ein Abdruck von Frauenlippen zum Vorschein … sonst nichts. Er legte den Zettel auf die Frisierkommode. Interessant.
Sie hatte eine Digitalkamera; Virgil schaltete sie ein und ging die etwa zwei Dutzend Fotos durch. Die meisten stammten vom See; etwa ein Viertel war in einer Kneipe aufgenommen worden und zeigte Frauen, die sich amüsierten.
Virgil nahm die Speicherkarte heraus, um sie später auf seinem eigenen Computer zu betrachten. Die Kamera legte er zurück auf die Frisierkommode, neben den Zettel mit dem Lippenabdruck. Ihre Schlüssel, darunter einen großen schwarzen elektronischen mit dem Mercedes-Benz-Logo, steckte er in die Tasche.
Der Computer war passwortgeschützt. Virgil versuchte mit ein paar simplen Manövern, ihn zu knacken, und beschloss dann, diese Aufgabe den Spezialisten zu überlassen.
McDills Handy lag auf dem Schreibtisch neben dem Computer. Er schaltete es ein und stellte fest, dass sie in der vergangenen Woche in der Lodge drei Dutzend Anrufe getätigt hatte, die meisten davon zu einer 612er-Vorwahl in den Twin Cities, was bedeutete, dass der Angerufene sich im Stadtzentrum von Minneapolis befand – vielleicht die Werbeagentur? Dazu kamen mehrere andere Gespräche zu und von einer 952er-Vorwahl.
Virgil überprüfte ihren Führerschein. Sie wohnte in Edina, was zu der 952er-Nummer passte. Vermutlich handelte es sich um die Privat- und die Büroadresse. Virgil notierte alle Nummern, die sie während ihres Aufenthalts im Eagle Nest gewählt hatte, und die der hereingekommenen Anrufe. Kein einziges Ortsgespräch.
Er nahm den Hörer von der Gabel des Telefons auf dem Schreibtisch und hörte den Wählton. Gespräche gingen also nicht über die Vermittlung. Er würde die Anrufe von der Telefongesellschaft recherchieren lassen …
Abschließend verfasste er eine kurze Notiz für die Leute von der Spurensicherung, erklärte den Lippenstiftzettel und die kartenlose Kamera und legte sie auf die Kommode.
Er schrieb: DNS auf dem Lippenstift? Wäre das möglich?
VIER
Virgil ging zur Lodge zurück, wo er seinen Matchsack abholte und Margery Stanhope fragte: »Haben Sie etwas von Ms McDills Freunden gehört?«
»Ja, aus der Luft. Sie fliegen, was sich als zeitintensiver erweist, als wenn sie gefahren wären.«
»Vielleicht treffe ich sie am Flughafen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Dass sie so lange brauchen, hängt unter anderem damit zusammen, dass sie dachten, wir liegen hier mitten im Wald. Sie haben in St. Paul ein Wasserflugzeug gechartert und landen auf dem See.«
Virgil blickte auf den eher kleinen See mit den zahlreichen Inseln: hübsch, aber nicht gerade als Landeplatz geeignet. »Kommen öfter Wasserflugzeuge her?«
»Hin und wieder. Es verärgert die Anwohner, besonders einen alten Griesgram, der bestimmt heute Abend mich und morgen früh die Bezirksverwaltung anruft.«
»Aha. Ich würde gern noch mit Ihrer Buchhalterin reden …«
»Sie ist unten im Schuppen – Sie gelangen über den Parkplatz hin.«
»Ich weiß, ich hab ihn gesehen. Später möchte ich auch mit den
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