Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
der Virgil eingehend, aber nicht feindselig musterte. Zoe bestellte ein Bier, Virgil eine Cola Light. »Alkoholproblem?«, erkundigte sich Zoe mit gerunzelter Stirn.
»Nein, ich trinke nur nicht viel«, antwortete Virgil.
»Falls es Sie interessiert: Mein Glas ist halbleer, nicht halbvoll«, erklärte der alte Mann mit dem Bier.
»Sieht mir eher vier Fünftel leer aus, Kumpel«, erwiderte Virgil.
Virgil und Zoe trugen ihre Drinks zu einer der Nischen. Als Virgil den Blick über die Frauen und das Lokal schweifen ließ, sah er, dass der Barkeeper ihn beobachtete.
»Und, wie finden Sie’s?«, erkundigte sich Zoe.
»Ist halt eine Bar«, antwortete er lächelnd. »Am Abend wird’s wahrscheinlich voller. Da kommen primär Leute aus Eagle Point, oder?«
»Eagle Nest.«
»Ach ja, Eagle Nest. Hauptsächlich Frauen vom Eagle Nest? Oder halbe-halbe Frauen und Gäste aus der Gegend, oder …«
»Mehr Leute aus der Gegend als vom Eagle Nest. Aber wenn man im Eagle Nest wohnt und ausgehen möchte, landet man am ehesten hier.«
»Homo oder hetero?«
»Homo und hetero. Das Gleiche gilt für die Ortsansässigen – hauptsächlich Frauen, lesbisch und hetero. Hier können sie sich ordentlich besaufen, ohne fürchten zu müssen, dass man sie verprügelt oder blöd anmacht. Chuck sorgt dafür, dass es keine Probleme gibt. Die meisten Männer aus der Gegend wissen, dass das nicht die richtige Kneipe für sie ist.«
»Kommen Sie her?«
»Klar. Wie gesagt: Das Wild Goose ist sicher und problemlos«, antwortete sie.
Eine kleine Frau mit abgeschnittener Jeans, eng anliegendem, rückenfreiem Oberteil, Cowboystiefeln und -hut sowie Sonnenbrille trat ein. Sie hatte sehr weibliche Rundungen und dunkle, zu einem Zopf geflochtene Haare. Auf einer gebräunten Schulter prangte eine Andy-Warhol-Marilyn-Tätowierung. Sie blickte sich kurz um, kratzte sich zwischen den Brüsten, schlenderte zur Theke und fragte: »Hast du Wendy gesehen?«
»Ist noch nicht da.«
»Mann, wir wollten uns im Schulhaus treffen«, sagte die Frau und schaute zu Virgil und Zoe herüber. Ihr Blick ruhte einen Moment auf Virgil und wanderte dann zu Zoe weiter. Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten. Sie und Zoe starrten einander eine Weile an, bevor die Frau sich wieder dem Barkeeper zuwandte. »Wir arbeiten gerade an ›Lover Do‹. Wenn du sie sehen solltest: Sag ihr, dass wir im Schulhaus sind und auf sie warten.«
Virgil blickte ihr nach. Als sie weg war, beugte Zoe sich ein wenig vor und sagte: »Das ist die Drummerin.«
»Genau mein Typ«, bemerkte Virgil.
»Nö, glaub ich nicht«, widersprach Zoe. »Sie lebt mit der Leadsängerin Wendy zusammen. Es ist eine Frauenband.«
»Okay.«
»Warum jammern Sie nicht: ›Was für eine schreckliche Verschwendung‹?«
»Ich hab Stil und war auf dem College«, antwortete Virgil. »Außerdem klingt’s nicht nach Verschwendung.«
»Tja …« Zoe trank ihr Bier in einem Zug aus.
»Was, tja?«, fragte Virgil.
»Mann …« Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Wendy, die Sängerin.«
»Ist sie gut?«
»Sogar sehr gut. Country und ein bisschen Crossover-Jazz. Hauptsächlich Country. Dixie Chicks.«
»Definitiv nicht mein Typ, nicht mal dann, wenn sie nicht lesbisch wäre«, sagte Virgil. »Bei den Dixie Chicks steck ich mir Kaugummi in die Ohren.«
»Nun, mein Typ ist sie. Und genau da liegt das Problem.«
Virgil sah sie kurz an, bevor er den Kopf auf die Unterarme sinken ließ. »Nein.«
»Früher oder später wären Sie sowieso draufgekommen, Virgil«, sagte Zoe lachend. »Ich will nicht, dass Sie sich falsche Hoffnungen machen.«
»Scheiße.« Virgil sah zur Theke hinüber und wurde vom Barkeeper mit einem Lächeln, einem Kopfschütteln sowie einer Geste belohnt, die ihm signalisieren sollte, dass er ihm eine weitere Cola Light bringen würde.
»Geht aufs Haus«, sagte er, als er sie auf den Tisch stellte.
»Sie hätten einen Schuss Rum reintun können«, bemerkte Virgil.
»Normalerweise spüre ich so was. Tut mir leid, wenn ich Ihnen irgendwie zu nahegetreten bin«, entschuldigte sich Virgil bei Zoe.
»Kein Problem. Ich hab auch schon mit Männern geschlafen. Vielleicht haben Sie’s deshalb nicht gespürt. Aber Frauen sind mir lieber. Das war immer so, und irgendwann hab ich’s mir dann eingestanden. Trotzdem finde ich manche Männer attraktiv. Wenn ich mich von einem Mann angezogen fühle, hat er normalerweise feminine Züge wie Sie mit diesen langen blonden Haaren und dem
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