Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
»Die Solos nehmen sie später auf und überspielen sie. Wenn das steht, singt Wendy die Textfassung, und dann überspielen sie das. Im Moment sorgt sie nur dafür, dass alle mit ihr harmonieren.«
Virgil nickte.
»Sind Sie wegen Erica McDill hier?«, erkundigte sie sich.
»Ja.«
»Üble Sache. Jemanden wie sie hätten wir gut gebrauchen können. Sie war ein Profi.«
»Wer sind Sie?«
Die Frau streckte ihm die Hand hin. »Corky Saarinen, die Managerin.«
Als Virgil ihre Hand schüttelte, stoppte die Band, und einer der Toningenieure sagte: »Okay, Leute, noch mal von der vierten Strophe an. Sin, fang du an, und dann kommt Wendy …«
Sie begannen erneut.
»Wozu hätte die Band Erica McDill gebraucht?«, flüsterte Virgil.
Corky Saarinen lehnte sich zu ihm hinüber. »Ich erledige die Tour-Sachen und sorge dafür, dass alles an seinem Platz ist. Außerdem engagiere ich Leute, die für uns arbeiten, Anwälte, Buchhalter et cetera. So vieles – Kontakte, Agenten, Werbung, Publicity – hängt vom Können ab. Man weiß nicht, wann die Leute einem einen Bären aufbinden oder ob man kriegt, wofür man bezahlt. Wenn man gleich am Anfang ein schlechtes Image hat, bleibt einem das womöglich jahrelang. Das muss man gleich richtig hinbekommen. Erica hätte das für uns tun können.«
»Und was machen Sie jetzt?«
Sie zuckte die Achseln. »Erica hat mit Leuten in ihrer Agentur über die Band geredet. Ich werde Kontakt mit ihnen aufnehmen und sie fragen, was sie von uns halten. Vielleicht können sie uns an einen PR-Mann vermitteln.«
»Sie wollten Erica McDill anheuern? Hätten Sie sich die überhaupt leisten können?«
»Nein. Wendy und Erica haben miteinander geschlafen. Erica, weil ihr das das Gefühl gegeben hat, hip zu sein. Sie war mit einer fetten Hausfrau verheiratet, und plötzlich läuft ihr Wendy über den Weg …«
»Sie wussten, dass die beiden was miteinander hatten?«, fragte Virgil.
»Ja, Sin und ich haben’s gewusst. Wir haben den Mund gehalten, weil klar war, dass Berni ausflippen würde. Ist dann ja auch passiert. Haben Sie Wendys Auge gesehen?«
Nein. Virgil hatte lediglich ihren Hinterkopf zu Gesicht bekommen.
Corky Saarinen kicherte. »Sie schaut aus, als hätte sie sechs Runden gegen Rocky geboxt.«
»Wie lange ging das mit Wendy und Erica?«, fragte Virgil.
Corky Saarinen warf einen Blick auf die Sängerin. »Ein paar Tage – wahrscheinlich seit Dienstag. Erica und ein paar andere Frauen haben sich am Samstagabend im Goose vorgestellt, und sie sind ins Gespräch gekommen. Erica hat sich unsere Arbeit am Montag und Dienstag angesehen. Beim Gespräch über die PR ist mir klar geworden, dass sie sich tagsüber schon darüber unterhalten hatten, ohne uns. Es lag auf der Hand, dass sich da was tun würde.«
Die Band erreichte das Ende des Songs, spielte ihn noch zweimal, bis einer der Toningenieure sich schließlich übers Mikrofon beugte und verkündete: »Das wär’s, Leute.«
Wendy zog die Kopfhörer von den Ohren, drehte sich um, entdeckte Virgil und zuckte zusammen. Dann grinste sie und sagte: »Hallo, Süßer.« Sie hatte ein blaues Auge, so groß wie ein Silberdollar, das deutlich mit ihren blonden Haaren kontrastierte.
»Das blaue Auge sieht ziemlich interessant aus, Wendy«, sagte Virgil.
»Gefällt’s Ihnen? Wir haben heute Morgen Werbefotos gemacht. Vielleicht verwenden wir die fürs Album-Cover.«
Unter dem Bedienungspult stand ein Bürostuhl, den sie zu Virgil rollte und auf den sie sich sinken ließ. Dabei berührten ihre Knie fast die seinen. Sie provozierte ihn, um herauszufinden, wie er reagierte.
»Ich möchte mit Ihnen und der Band darüber reden, wer von Ihnen Erica McDill umgebracht hat«, verkündete Virgil.
Ihre Selbstsicherheit verflog. Zumindest für einen Moment. »Wissen Sie denn, dass es eine von uns gewesen ist?«
»Nein, aber einen besseren Verdacht habe ich nicht«, antwortete Virgil knapp.
»Lassen Sie mich überlegen … Ich glaube, es war Mittwoch, als wir beschlossen haben, sie umzubringen. Ich hab gesagt: ›Mädel, schnapp dir eine Knarre und erschieß Erica McDill.‹« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Was zum Teufel wollen Sie?«
»Erica McDill könnte aus beruflichen Gründen ermordet worden sein, aber Nachforschungen in dieser Richtung haben nichts ergeben«, erklärte Virgil. »Die meisten hätten mehr davon gehabt, wenn sie am Leben geblieben wäre. Ihr Tod wird für viele Leute teuer. Und ihre Freundin braucht schriftliche
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