Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
was zu der Vermutung Anlass gab, dass sie freiwillig mitgemacht hatte. Allerdings hielt Virgil diesen Schluss nicht für zwingend, denn vielleicht hatte sie einfach zu viel Angst gehabt, sich zu wehren.
Es existierten keinerlei DNS-Spuren. Tief in Anus und Vagina befanden sich Gleitmittel von einer bekannten Kondommarke, was bedeutete, dass die Männer Kondome benutzt hatten, ob nun zum Schutz gegen Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft oder um keine DNS-Spuren zu hinterlassen, war unbekannt.
Der Tod, hatte der Pathologe angemerkt, könne unbeabsichtigt bei extremen Sexspielen eingetreten sein, was möglicherweise hieß, dass die Täter Kelly Baker nicht gut kannten und es sich um Prostitution handelte. Oder die Männer hatten sich vor polizeilicher Verfolgung wegen Sex mit einer Minderjährigen schützen wollen.
Rund um ihren Mund hatten sich Abschürfungen befunden, die darauf hinwiesen, dass sie oral penetriert worden war, obwohl weder Luftröhre noch Magen Sperma aufwiesen. Das konnte bedeuten, dass der Oralsex sich lange vor ihrem Tod ereignet hatte und das Sperma bereits verdaut war, dass der Mann seinen Penis vor der Ejakulation herausgezogen hatte, was bei dieser Art von Sexspielen unwahrscheinlich war, oder dass der Mann ein Kondom benutzt hatte.
Was wieder auf eine Schutzmaßnahme gegen DNS-Spuren hinwies.
Verwirrend war die Abwesenheit von DNS auf der Leiche: kein Schweiß, keine Flecken. An den äußeren Teilen von Vagina und Anus befanden sich keine Gleitmittel-, unter den Armen keine Deospuren. Der Pathologe vermutete, dass die Leiche nach dem Eintritt des Todes gründlich gewaschen worden war. Alles deutete auf geplantes Vorgehen hin.
Virgil lehnte sich zurück und schloss die Augen. Eine Prostituierte? Das Alter passte. Etwa die Hälfte der Prostituierten in Minnesota war siebzehn oder jünger. Warum hatte man die Leiche auf den Friedhof gelegt? War das als lächerlicher Versuch zu werten, ihr im Nachhinein doch noch Achtung zu erweisen? Konnte die Tat von Highschool-Schülern verübt worden sein, die in Panik geraten waren? Doch der Grad der Perversion ließ auf ältere Männer mit ausgeprägten sexuellen Vorlieben schließen. Kannten Kelly Bakers Eltern diese älteren Männer? Konnte es sich um Missbrauch durch Lehrer oder innerhalb der Familie handeln?
Auch die Sorgfalt, mit der die DNS-Spuren entfernt worden waren, verwies auf ältere, erfahrene Männer. War es nicht ihr erster Mord gewesen?
Über diese Fragen dachte Virgil gerade nach, als Kraus ihm einen dicken Stapel Papiere reichte. »Der Bericht. Wir haben selber Freunde und Schulkameraden des Mädchens befragt, doch das meiste steht auch in der Akte aus Iowa. Die unsere ist möglicherweise ein bisschen detaillierter, enthält aber keine zusätzlichen signifikanten Informationen.«
»Ich hätte gern eine Liste der von Ihnen Befragten«, sagte Virgil. »Nicht, was sie gesagt haben, nur die Liste.«
»Ich stelle sie Ihnen gleich zusammen«, versprach Kraus. »Glauben Sie wirklich, dass eine Verbindung zu Flood, Bobby Tripp und Jim besteht?«
»Flood wurde in Battenberg ermordet und kam aus der Nähe. Crocker wohnte auf einer Farm ungefähr drei Kilometer südöstlich von Battenberg und Kelly Baker auf einer knapp zehn Kilometer südlich. Was bedeutet, dass sie in einem relativ kleinen Radius lebten. Wie groß ist dieser Bezirk? Achtzehnhundert Quadratkilometer? Mit einem Mord alle zehn Jahre? Und jetzt haben Sie drei Morde in weniger als einem Jahr und Opfer, die einander kannten, samt und sonders aus diesem kleinen Gebiet. Oder anders ausgedrückt: Sie haben alle nicht weiter als zwei Kilometer vom Highway 7 entfernt gewohnt …«
»Ich mach mich an die Arbeit«, sagte Kraus.
Virgil überflog den Bericht aus Iowa auf der Suche nach Bob Tripps Namen, ohne Erfolg.
In der Akte fand er Fotos von Kelly Baker, als sie noch am Leben gewesen war, dazu Aufnahmen vom Tatort und von der Obduktion. Letztere schob er mit einem flauen Gefühl im Magen beiseite. Kelly war eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren und großem Busen gewesen. Später wäre sie vermutlich stämmig geworden und hätte breite Schultern und Hüften und übergroße Brüste bekommen.
Doch in der Jugend hatte sie gut ausgesehen. Gut an den Mann zu bringen, dachte Virgil mit schlechtem Gewissen. Die Ermittler in Iowa hatten sich intensiv mit der Vermutung der Prostitution befasst, ohne etwas herauszufinden.
Virgil rief Wood an.
»Fall gelöst?«,
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