Virgin Dancer. Die Tänzerin. (Sensual Fantasies) (German Edition)
Bruder verwirrten. Aufgrund seiner Autismus-Spektrum-Störung fiel es ihm schwer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Die subtilen Nuancen menschlichen Verhaltens, wie etwa Körpersprache oder eine emotionale Reaktion auf etwas, das er gesagt hatte, blieben ein Rätsel für ihn. Als sie jünger gewesen waren, hatte er Jade immer danach gefragt, hatte die Gesichtsausdrücke der anderen Kinder imitiert, damit sie ihm dabei half, ihre Bedeutung zu verstehen. Jede Veränderung in seinem Tagesablauf konnte ihn in plötzliche Angst- oder gar Panikzustände versetzen. Ein Zug, der nicht die gleiche Nummer trug wie üblich. Ein Restaurant, das zum Mittagessen nicht sein Lieblingsgericht servieren konnte, weil eine der Zutaten nicht mehr auf Lager war.
Schließlich war er scheinbar mit seinem Zahlenprojekt fertig, und drehte sich zu ihr um. Er blickte sie zunächst an, wandte dann aber beim Sprechen die Augen ab. Dies war eines seiner vielen besonderen Verhaltensmuster, die ihn von Anderen isolierten. Es fühlte sich einfach merkwürdig an. Es ließ ihn herablassend wirken, den Augenkontakt zu vermeiden, wenn er mit jemandem sprach. Es wirkte stets, als würde er nicht zuhören, obwohl er alles in sich aufnahm. Nichts gab es, das Calebs Aufmerksamkeit entwich.
"Was ist passiert, Jade? Du siehst anders aus", sagte er. "Auch deine Stimme klingt heute anders."
Sie nahm einen tiefen Atemzug, bevor sie antwortete. Er hatte recht. Sie hatte den Rest der Nacht nicht mehr viel geschlafen. Die ganze Herfahrt über war ihr Alrik im Kopf herumgegangen. Bilder von ihm hatten sich vor ihr geistiges Auge gedrängt. Seine Lippen auf ihren, wie er sie besinnungslos küsste. Das strahlende Grau seines Blicks, wie er auf sie hinabstarrte, nackt auf seinem Bett.
Nun war sie an der Reihe, die Augen abzuwenden. Doch es war zwecklos, Caleb anzulügen.
"Du hast recht", gab sie nach einer Weile zu. "Weißt du … Neulich bin ich in einen Club gegangen. Am Abend meines Geburtstags."
"Wozu?"
Sie zögerte. "Naja … Um mit meinen Freundinnen zu tanzen, ein bisschen Spaß zu haben. Aber der springende Punkt ist, dass ich dort einen Mann getroffen habe."
"War er nett?"
Jade lächelte. "Ich weiß nicht, ob 'nett' das richtige Wort für ihn ist. Er ist etwas Besonderes, nicht so wie andere Männer. Er heißt Alrik und kommt aus Schweden."
"Wie die Wikinger", sagte Caleb, und Begeisterung schlich sich in seine Stimme. Neben Zahlen liebte er auch Geschichtsbücher. Sein Blick wanderte zu einem der Bücher auf dem gut bestückten Wandregal. "Wie sieht er aus?"
Es brachte sie in Verlegenheit, als sie plötzlich errötete. "Man könnte sagen, er sieht genauso aus, wie man sich einen Wikinger vorstellt. Nur ohne den Bart und den Helm mit den Hörnern", sagte sie.
"Die Wikinger trugen nur im Kampf Helme", merkte ihr Bruder an. "Und es gibt keinerlei historische Nachweise für gehörnte oder geflügelte Helme. Wirst du ihn heiraten?"
"Caleb!", rief sie fassungslos. "Ich habe ihn eben erst kennengelernt! Außerdem haben wir beschlossen, dass es besser ist, wenn wir uns nicht wieder sehen."
"Warum?", sagte er, offensichtlich erstaunt. "Also magst du ihn nicht?"
"Natürlich mag ich ihn. Es ist nur gerade nicht die richtige Zeit – oder der richtige Ort, um … ein Paar zu werden."
"Ich verstehe das nicht", sagte Caleb.
"Wir passen nicht zusammen", versuchte sie sich an einer Erklärung, wohl wissend, dass es eine eklatante Lüge war. Die Nacht zuvor hatte sich jede Berührung, jedes geflüsterte Wort angefühlt, als wären sie füreinander geschaffen. Es hätte gar nicht vollkommener sein können.
Es war offensichtlich, dass Caleb es nicht verstand, und es schien, als verlor er das Interesse an dieser sinnlosen Unterhaltung. Sehnsüchtig sah er zum Computer hinüber, wo der Cursor hinter der letzten Zahlenreihe blinkte, die er geschrieben hatte.
"Wann wirst du ihn wiedersehen?", beendete er die Diskussion. "Du magst ihn." Er sagte es, als hätte er nicht den geringsten Zweifel an dieser Aussage. Jade hatte oft den Eindruck, dass er ein Talent dazu hatte, komplexe Probleme auf die wesentlichsten Fakten zu reduzieren. Es war das Ergebnis seiner strikten logischen Denkweise.
Für einige Augenblicke konnte sie nichts erwidern, dann seufzte sie: "Ich weiß nicht. Vielleicht nie wieder." Und im selben Moment überkam sie das Gefühl, dass sie ihn verzweifelt wiedersehen wollte, es sogar musste.
"Doch, das wirst du", führte Caleb das Gespräch
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