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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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draußen rumbrüllen hören, heiser und hohl und von Echos verfolgt. Sie hielt den Atem an. Er brüllte, sie (wer?) machten die beste Werbung der Welt, sie hätten Hunnis Millbank verkauft, und jetzt würden sie Sunflower verkaufen. Wenn sie richtig gehört hatte.
    »Hier unten an der Tür. Fahrerseite.«
    Es war Rydell. Die Tür auf dieser Seite stand offen.
    »Er hat die Schlüssel hier dringelassen«, sagte sie.
    »Ich glaub, er ist da runtergegangen, wo früher mal der Traumwände-Laden war.«
    »Und wenn er zurückkommt?«
    »Wahrscheinlich kommt er sowieso zurück, wenn wir weiter hier rumhängen. Kannst du mal da raufkriechen und mir die Dinger rüberwerfen?«
    Sie schob sich durch die Tür und zwischen die
    Schalensitze. Sah Rydells Kopf dort, an der offenen Tür.
    Griff sich die Schlüssel und warf sie zur Seite, ohne hinzusehen. Schnappte sich ihre Hose und flitzte wieder nach hinten, wobei sie sich überlegte, ob sie wohl in den Kühlschrank paßte, wenn sie die Beine anzog.
    »Warum legst du dich nicht flach auf den Boden da hinten ...« Seine Stimme vom Fahrersitz.
    »Hinlegen?«
    »Minimale Silhouette.«
    »Hm?«
    »Er wird anfangen zu schießen. Sobald ich das hier mache ...« Das Geräusch der Zündung. Glas spritzte von 391
    neuen Löchern in der Windschutzscheibe weg, und sie warf sich flach hin. Das Wohnmobil machte einen Satz nach hinten und wendete in engem Bogen, und sie hörte, wie er auf die Konsole schlug und irgendeine Funktion zu finden versuchte, die er brauchte, als noch mehr Kugeln kamen, alle deutlich voneinander abgesetzt, jede ein Schlag, als ob jemand einen unsichtbaren Hammer schwingen und dabei darauf achten würde, den Rhythmus zu halten.
    Dann mußte Rydell alles so hingekriegt haben, wie er es brauchte, denn er tat das, was die Jungs oben in Oregon ebenfalls mit ihren Bremsen und dem Getriebe taten. Dann merkte sie, daß sie schrie. Keine Worte oder so was, sie schrie einfach nur.
    Dann gingen sie so hart in eine Kurve, daß sie
    beinahe umgekippt wären, und sie dachte, daß diese Wohnmobile wahrscheinlich nicht dazu gedacht waren, sehr schnell zu fahren. Jetzt fuhren sie noch schneller, wie es ihr schien, und zwar bergauf.
    »Ach, Mist«, hörte sie Rydell in diesem sonderbar normalen Ton sagen, und dann krachten sie in die Tür oder das Tor oder was immer, und es war so wie damals, als sie versucht hatte, diese radikale
    Wiegetrittnummer im Lafayette Park abzuziehen, und die anderen ihr immer wieder erklären mußten, sie sei auf den Kopf gefallen, was sie jedesmal gleich wieder vergaß.
    392
    Sie war wieder in Skinners Bude und las im National Geographic, wie Kanada sich in fünf Länder gespalten hatte. Sie trank kalte Milch aus der Tüte und aß Salzcracker. Skinner lag mit dem Fernseher im Bett und sah sich eine dieser Sendungen über Geschichte an, die er so gern mochte. Er verbreitete sich gerade darüber, daß diese historischen Filmaufnahmen im Lauf seines Lebens optisch immer besser geworden seien. Anfangs seien sie ruckhaft und schwarzweiß gewesen, und die Soldaten seien rumgerannt, als ob sie Ameisen in der Hose hätten, und diese fürchterliche Grobkörnigkeit und der Himmel voller Kratzer. Dann hätten sie das Tempo allmählich reduziert, bis sich die Leute schließlich wie im wirklichen Leben bewegten, und dann habe man in Farbe gedreht, das Korn sei immer feiner geworden, und selbst die Kratzer seien verschwunden. Und das sei Blödsinn, sagte er, weil alles sowieso nur eine Annäherung sei, eine Vorstellung, die sich jemand davon machte, wie es ausgesehen haben mochte, das Ergebnis einer bestimmten Entscheidung, des Drucks auf einen bestimmten Knopf. Aber es sei trotzdem geil, sagte er, wie das erste Mal Billie Holiday ohne das ganze Geknister und den blechernen Ton.
    Billie Holiday war wahrscheinlich ein Typ wie Elvis, dachte Chevette, mit Pailletten am Anzug, aber eher so wie zu der Zeit, als der noch jünger und nicht so fett gewesen war.
    393
    Das war eins von Skinners Lieblingsthemen: wie
    Geschichte sich in etwas Synthetisches verwandelte.
    Aber sie zeigte ihm gern, daß sie zuhörte, wenn er ihr was erzählte, denn sonst brachte er es durchaus fertig, tagelang kein einziges Wort zu sagen. Deshalb blickte sie jetzt von ihrem Magazin und den Bildern der Mädchen auf, die in der Provinz Quebec blauweiße Fahnen schwenkten, und da saß ihre Mutter auf Skinners Bettrand und sah schön und traurig und irgendwie müde aus, so wie sie damals manchmal ausgesehen

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