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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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tust?«
    »Aber was ist der Job, Hernandez? Bloß da hin und fahren?«
    »Ja genau! Fahren! Mr. Warbaby sagt ›fahren‹, du
    fährst.«
    »Wer?«
    »Warbaby. Dieser Lucius Warbaby.«
    113
    Rydell nahm Monicas People -Heft und fand ein Bild von Gudrun Weaver und Reverend Wayne Fallon.
    Gudrun Weaver sah wie eine Schauspielerin in den
    Vierzigern aus, Fallon wie eine Beutelratte mit
    Haarimplantaten und einem zehntausend Dollar teuren Smoking.
    »Dieser Warbaby, Berry, das ist der Obercrack in
    dem Scheiß. Ist 'n verdammter Star, Mann. Warum sollten sie ihn sonst engagieren? Mach das, und du lernst was von dem Scheiß. Du bist noch jung, Mann. Kannst noch was lernen.«
    Rydell warf die Illustrierte wieder aufs Sofa. »Wen wollen sie finden?«
    »'nen Hoteldieb. Jemand hat was geklaut. Wir haben da den Wachdienst gemacht. In Singapur sind sie voll am Rotieren wegen der Sache, Mann. Mehr weiß ich auch nicht.«
    Rydell stand im warmen Schatten des Carports und
    schaute in die schimmernden Tiefen des sich
    bewegenden Wasserfalls auf der Kühlerhaube des
    Sneaker von Hernandez' Tochter. Nebel stieg durchs grüne Geäst des Regenwaldes auf. Er hatte mal eine Harley gesehen, auf der überall, wo sie nicht dreifach verchromt war, im Zeitraffertempo lebensgroße Insekten herumwimmelten. Skorpione, Tausendfüßler, alles mögliche.
    »Schau mal«, sagte Hernandez, »siehst du, da, wo 's so unscharf ist? Soll 'n verdammtes Faultier oder so 114
    sein, Mann. Ein
    Lemur,
    verstehst du? Mit
    Herstellergarantie.«
    »Wann soll ich hinfahren?«
    »Ich geb dir 'ne Nummer.« Hernandez gab Rydell
    einen zerrissenen gelben Papierfetzen. »Ruf da an.«
    »Danke.«
    »He«, sagte Hernandez, »ich will dir doch nur was Gutes tun. Ehrlich, Mann. Will ich.« Er strich über die Motorhaube des Sneaker. »Schau dir diesen Scheiß an.
    Herstellergarantie, du dickes Ei.«
    115

Der Morgen danach
    Chevette träumte, daß sie die Folsom entlangfuhr. Ein starker Seitenwind drohte sie in den Gegenverkehr zu drücken. Sie bog links ab in die sechste Straße, hatte den Wind jetzt im Rücken, fuhr an der Howard und der Mission bei Rot und an der Market bei Tiefgelb über die Kreuzung, tippte kurz auf die Bremse und hoppelte über die beiden Gleise weg.
    Sie kam tief vornübergebeugt herunter und sauste auf der Taylor den Nob Hill hinauf.
    »Diesmal schaff ich's«, sagte sie.
    Wie eine Wilde strampelnd — der Wind eine starke Hand in ihrem Kreuz, der Himmel klar und lockend auf der Hügelkuppe —, schaltete sie ihre Kette per Hand auf einen riesigen, maßgefertigten Zahnkranz, der zu groß für ihre Kettenschaltung und überhaupt für jeden Rahmen war, und spürte, wie die glänzenden Zähne faßten. Ihr Gestrampel wurde zu einem stetigen Kreisen — aber dann kam sie aus dem Tritt.
    116
    Sie stellte sich in die Pedale, begann zu treten und zu schreien; Milchsäure schoß durch ihre Adern. Sie war oben auf der Kuppe, sie hob ab ...
    Farbiges Licht fiel durch die getönten
    Tortenkeilscheiben des runden Fensters in Skinners Bude. Dienstagmorgen.
    Zwei kleinere Glasscheiben waren herausgefallen; die Lücken waren mit Stoffetzen ausgestopft, die Schatten auf die zerfledderte gelbe Wand voller National Geographic-Titel warfen. Skinner saß in einem alten karierten Hemd im Bett und hatte die Decken und den Schlafsack bis zur Brust hochgezogen. Sein Bett bestand aus einer Eichentür mit acht Paneelen auf vier rostigen VW-Felgen und einer dicken Schaumstoffmatte obendrauf. Chevette schlief auf dem Boden, auf einer schmaleren Schaumstoffmatte, die sie jeden Morgen zusammenrollte und hinter eine lange Holzkiste mit lauter schmierigem Werkzeug drin stopfte. Der Geruch des Schmierfetts stieg ihr manchmal sogar noch im Schlaf in die Nase, aber das störte sie nicht.
    Sie streckte den Arm in die Novemberkälte hinaus und nahm einen Sweater von der Sitzfläche eines mit Farbe bekleckerten Holzhockers. Sie stopfte den Sweater in ihren Schlafsack, schlüpfte umständlich hinein und zog ihn bis zu den Waden herunter. Er hing ihr bis auf die Knie, als sie aufstand; der Kragen war so gedehnt, daß sie ihn immer wieder auf ihre Schulter 117
    hochschieben mußte. Skinner sagte nichts; er sagte ohnehin kaum je etwas.
    Sie rieb sich die Augen, ging zu der an die Wand geschraubten Leiter, stieg die fünf Sprossen hinauf und entriegelte die Dachluke, ohne auch nur hinzusehen. Sie kam jetzt fast jeden Morgen hier herauf, begann ihren Tag mit dem Wasser und fuhr dann in die

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