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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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blaue
    Recyclingtonne gedrückt. Besorgnis begann Ringers rudimentäre Sicht der Dinge zu durchdringen. »Ich hab dir doch nix getan, Mann.«
    »Du hast schon wieder deinen Namen in Fahrstühle
    geschnitzt, Ringer.«
    »Aber ich hab dir doch nix getan!«
    »Ursache und Wirkung, du Arschloch. Wir wissen,
    daß dich das total überfordert, aber versuch's mal: Wenn du Scheiße baust, kommt noch mehr Scheiße nach. Wenn du dein Zeichen in die hübschen Fahrstühle der Kunden kratzt, kriegst du's mit uns zu tun, Mann.«
    Sammy Sal spreizte die langen braunen Finger seiner 160
    linken Hand über Ringers zerbeulten Helm, umfaßte ihn wie einen Basketball, drehte ihn und hob ihn gleichzeitig an, so daß sich die Riemen in Ringers Kinn gruben.
    »'ch hab doch nix gemachtl« gurgelte Ringer.
    Chevette zwängte sich an ihnen vorbei und ging zum Fahrradständer unter dem Wandporträt von Shapely.
    Jemand hatte ihm eine Kondomladung taubenblauer
    Farbe in sein seelenvolles Märtyrerauge geschossen, und das Blau lief ihm über seine ganze geweihte Wange.
    »He«, rief Sammy Sal, »komm her und hilf mir,
    diesen Saftsack zu malträtieren!«
    Sie steckte die Hand in die Erkennungsschlaufe und versuchte, den Lenker aus dem Gewirr von Molybdenstahl, Graphit und Aramitbeschichtungen zu befreien. Die Alarmanlagen der anderen Räder gingen alle gleichzeitig los, ein wüster Chor von ohrenzerreißendem Gehupe, digitalem Baßsirenengeheul und einem ausgedehnten, lautstarken Ausbruch spanischer Flüche, die wie das Zischen einer Schlange klangen, geschickt vermischt mit dem schmerzerfüllten Gejaule eines Tieres. Sie schwang ihr Fahrrad herum, steckte den Zeh in den Bügel und stieß sich zur Straße hin ab.
    Als sie aufstieg, wäre sie beinahe auf der anderen Seite runtergefallen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Sammy Sal Ringer losließ.
    Sie sah, wie Sammy Sal auf sein eigenes Rad sprang, ein pinkfarbenes, schwarz geflecktes Ding mit dicken 161
    Reifen und Fluorofelgen, die über einen Nabengenerator liefen.
    Sammy Sal fuhr ihr nach. Sie hatte noch nie weniger Wert auf Gesellschaft gelegt.
    Sie sauste davon.
    Projen. Einfach projen.
    Wie in ihrem morgendlichen Traum, nur mit mehr
    Angst.
    162

Augenbewegung
    Rydell sah die beiden Cops aus San Francisco an,
    Swobodow und Orlowsky, und kam zu dem Schluß,
    daß die Arbeit für Warbaby vielleicht doch ganz
    interessant sein konnte. Diese Typen waren das Wahre, die waren echt heavy. Die Mordkommission war die Nummer eins in jedem Department, ganz gleich wo.
    Jetzt war er gerade mal achtundvierzig Minuten in Nordkalifornien, und schon saß er mit der Mordkommission an einem Tresen und trank Kaffee mit den Jungs. Das heißt, sie tranken Tee. Heißen Tee. Aus Gläsern. Mit massenhaft Zucker. Rydell saß am anderen Ende, auf der anderen Seite von Freddie, der Milch trank. Dann kam Warbaby, der immer noch seinen Hut aufhatte, dann Swobodow, dann Orlowsky.
    Swobodow war fast genauso groß wie Warbaby,
    schien jedoch nur aus Sehnen und dicken
    Knochenknubbeln zu bestehen. Er hatte lange, helle Haare, die von seiner felsenartigen Stirn straff nach hinten gekämmt waren, dazu passende Augenbrauen und eine straffe, glänzende Haut, als ob er zu lange vor 163
    einem Feuer gestanden hätte. Orlowsky war
    dunkelhäutig und dünn, hatte eine Witwenspitze,
    haufenweise Haare auf den Fingerrücken und eine Brille, deren Gläser so aussahen, als ob sie in der Mitte abgesägt worden wären.
    Sie hatten beide diese Nummer mit den Augen drauf, ihr Blick durchbohrte einen, hielt einen fest und sank tief ein, träge und schwer wie Blei.
    Auf der Polizeiakademie hatte Rydell einen Kurs
    darin belegt, aber der hatte bei ihm nicht richtig verfangen. Er lief unter dem Titel ›Augenbewegung —Desensibilisierung und Reaktion‹ und wurde von einem pensionierten forensischen Psychologen der Duke University namens Bagley abgehalten. Bagley neigte dazu, vom Thema abzuschweifen und sich in Geschichten über Massenmörder, mit denen er auf der Duke University gearbeitet hatte, Todesfälle durch autoerotische Strangulation und solche Sachen zu verlieren. Jedenfalls brachte man damit die Zeit zwischen ›Techniken zur Verhinderung von Schwerstverbrechen‹
    und ›Szenarios für das Schießtrainings-System‹ herum.
    Aber nach der Verbrechensverhinderung war Rydell
    meistens ein bißchen durch den Wind, weil ihn der Kursleiter immer wieder bat, den Part des Verbrechers zu übernehmen. Er hatte keine Ahnung, warum. Deshalb

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