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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Jahrhundert oder so. Echt
    klassisch. Biomechanik. Lowell hat ein Giger-Bild auf dem Rücken, nach 'nem Gemälde mit dem Titel ›N.Y.C.
    XXIV‹.« Sie sprach es x, x, i, v aus. »Ist so wie diese Stadt. Abgestufte Schwarztöne. Aber er wollte auch was für die Arme, deshalb sind wir hergekommen, um nach weiteren Gigern zu schauen, die zu seinem passen würden.«
    »Warum setzt du dich nicht hin«, sagte Rydell. »Sonst krieg ich noch Nackenschmerzen.« Sie wanderte vor den Bildschirmen auf und ab. Er zog seine nassen Strümpfe aus, steckte sie in die Container-City-Tüte und schlüpfte in die trockenen. Er dachte daran, seine Schuhe eine Weile ausgezogen zu lassen, aber was war, wenn er schnell wegmußte? Also zog er sie wieder an.
    Er war gerade dabei, sie zuzuschnüren, als sie sich neben ihn setzte.
    Sie machte den Reißverschluß ihrer Jacke auf und
    schüttelte sie ab, wobei die freie Beretta-Handschelle rasselte. Die Ärmel ihres schlichten schwarzen TShirts waren mit der Schere abgeschnitten, und ihre Oberarme waren glatt und weiß. Sie langte über das Ende des Sofas hinweg und legte die Jacke weg, stellte sie 329
    gewissermaßen an die Wand; das Leder war steif genug, daß sie einfach so stehenblieb, mit herunterhängenden Ärmeln, als ob sie schliefe. Das hätte Rydell auch gern getan. Jetzt hatte Chevette die Fernbedienung in der Hand.
    »He«, sagte Rydell, »der Kerl im Regenmantel
    vorhin, der den anderen erschossen hat, diesen ...« Er wollte gerade sagen, diesen großen Langhaarigen auf dem Fahrrad, aber sie packte sein Handgelenk. Die Handschelle rasselte.
    »Sammy. Er hat Sammy erschossen, oben bei
    Skinner. Er ... Er war hinter der Brille her, und Sammy hatte sie, und ...«
    »Moment. Wart mal 'ne Sekunde. Die Brille. Alle
    wollen die Brille haben. Dieser Typ will sie, Warbaby will sie ...«
    »Wer ist Warbaby?«
    »Der große Schwarze, der die Heckscheibe von
    seinem Wagen rausgeschossen hat, als ich ihm den geklaut habe. Das war Warbaby.«
    »Glaubst du, ich weiß, was das für 'ne Brille ist?«
    »Du weißt nicht, warum die Leute hinter ihr her
    sind?«
    Sie sah ihn an wie jemanden, der einem gerade
    erklärt hat, heute sei ein guter Tag, um sein ganzes Geld in Lotterielosen anzulegen.
    »Laß uns noch mal von vorn anfangen«, schlug Rydell vor. »Erzähl mir, woher du die Brille hast.«
    330
    »Warum sollte ich?«
    Er dachte darüber nach. »Weil du inzwischen tot
    wärst, wenn ich vorhin nicht so einen total behämmerten Mist gebaut hätte.«
    Sie dachte darüber nach. »Okay«, sagte sie.
     
    Vielleicht war im Mormonentee des fetten Mannes
    wirklich was dringewesen, oder vielleicht war Rydell auch gerade in jene Phase der Müdigkeit übergewechselt, in der alles eine Zeitlang ins Tanzen geriet und man sich zu fühlen begann, als ob man in mancherlei Hinsicht wacher wäre, als man es sonst je war. Aber am Ende trank er den Tee mit kleinen Schlucken und hörte ihr zu, und als sie so in ihrer Story aufging, daß sie nicht mehr daran dachte, die Bilder mit den Tätowierungen auf dem Wandbildschirm zu wechseln, tat er es für sie.
    Wenn man alles in die richtige Reihenfolge brachte, dann war sie ein Mädchen aus Oregon ohne Familie, das hierhergekommen und zu dem alten Mann auf die Brücke gezogen war, der nicht ganz dicht war, wie es klang, eine schlimme Hüfte hatte und jemanden um sich brauchte, der ihm half. Dann hatte sie sich einen Job besorgt, bei dem sie mit einem Fahrrad in San Francisco herumfuhr und Kurieraufträge erledigte.
    Rydell wußte aus seiner Zeit bei der Fußstreife in der Innenstadt von Knoxville über Kuriere Bescheid, weil man ihnen dauernd Strafzettel verpassen mußte, weil sie 331
    auf dem Gehweg fuhren und die Verkehrsregeln
    mißachteten, und weil sie einem ständig Schwierigkeiten machten. Aber sie verdienten gutes Geld, wenn sie sich richtig ins Zeug legten. Dieser Sammy, der erschossen worden war, ermordet, wie sie behauptete, war auch ein Kurier gewesen, ein Schwarzer, der ihr den Job bei Allied verschafft hatte, wo sie arbeitete.
    Und ihre Geschichte, wie sie bei der großen,
    feuchtfröhlichen Party im Morrisey, in die sie sich verirrt hatte, diesem Kerl die Brille aus der Tasche gefischt hatte, ergab für ihn durchaus einen Sinn. Und es war keine dieser Geschichten, die sich die Leute so ausdachten. Kein Wort davon, daß die Brille wie von selbst in ihre Hand gelangt sei oder so, sie hatte sie halt geklaut und basta, ein Impuls, einfach, weil sie dieser Kerl

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