Virtuelles Licht
und klappte es zu. »Ich schätze, da gibt's niemand.«
»Hat der alte Mann Telefon?«
»Nein«, sagte sie, und ihre Schultern sackten
herunter. »Ich fürchte, sie haben ihn auch umgebracht.
Meinetwegen ...«
Rydell fiel nichts ein, was er dazu sagen konnte. Er war zu müde, um die Fernbedienung zu betätigen. Der Arm von irgendeinem Kerl mit einer eingerollten Konföderiertenfahne drauf. Wie zu Hause. Er sah
Chevette an. Sie wirkte jedenfalls nicht annähernd so müde wie er. Vielleicht lag das einfach daran, daß sie so jung war, dachte er. Er hoffte nur, daß sie nicht auf Ice oder Dancer oder irgendwas war. Möglicherweise stand sie immer noch unter Schock. Sie hatte gesagt, dieser Sammy sei getötet worden, und um zwei andere machte sie sich Sorgen. Offensichtlich hatte sie den Kerl gekannt, der mit dem Fahrrad in Swobodow reingebrettert war, aber sie wußte noch nicht, daß er 339
erschossen worden war. Komisch, was einem im Kampf alles entging. Nun, er sah keinen Grund, es ihr zu erzählen, jedenfalls nicht jetzt gleich.
»Ich versuch's bei Fontaine«, sagte sie und klappte das Telefon wieder auf.
»Bei wem?«
»Er kümmert sich um Skinners Strom und so.« Sie
wählte eine Nummer und hielt sich das Telefon ans Ohr.
Ihm fielen die Augen zu, und sein Kopf schlug so hart auf die Rücklehne des Sofas, daß er davon beinahe aufgewacht wäre.
340
Nach dem Gewitter
»Stinkt nach Pisse«, sagte Skinner anklagend und weckte Yamasaki damit aus einem Traum, in dem er auf einer weiten, dunklen Ebene neben J. D. Shapely vor einer endlosen Mauer gestanden hatte, in die die Namen der Toten eingraviert waren.
Yamasaki hob den Kopf vom Tisch. Im Zimmer war es dunkel. Durch das Kirchenfenster fiel Licht herein.
»Was machst du denn hier, Scooter?«
Yamasaki taten der Hintern und das Kreuz weh.
»Das Gewitter«, sagte er, noch halb im Traum.
»Was für 'n Gewitter? Wo ist das Mädchen?«
»Weg«, sagte Yamasaki und rieb sich die Augen.
»Erinnern Sie sich nicht? Loveless?«
»Wovon redest du?« Skinner stemmte sich auf einen Ellbogen hoch und trat die Decken und den Schlafsack mit den Füßen beiseite. Sein Gesicht mit den grauen Stoppeln verzog sich vor Abscheu. »Ich brauch ein Bad.
Und trockene Sachen.«
»Loveless. Er hat mich in einer Bar gefunden. Hat mich gezwungen, ihn herzubringen. Muß mir gefolgt sein, 341
vorher, glaube ich, als ich von Ihnen weggegangen bin ...«
»Ja, sicher. Halt die Klappe, Scooter, okay?«
Yamasaki machte den Mund zu.
»Jetzt brauchen wir erstmal reichlich Wasser. Und zwar heißes. Erstens für den Kaffee, und dann noch was, damit ich mich waschen kann. Kennst du dich mit 'nem Coleman-Kocher aus?«
»Womit?«
»Mit dem grünen Ding da drüben, dem mit dem roten Tank vorne dran. Wenn du den Tank abwrögelst, erklär ich dir, wie man das Ding aufpumpt.«
Yamasaki stand auf. Der Schmerz in seinem Rücken ließ ihn zusammenzucken. Er stolperte zu dem grün lackierten Metallkasten hinüber, auf den Skinner zeigte.
»Ist abgehauen, die Kleine, um wieder mit dieser Niete, diesem Schleimscheißer von ihrem Lover zu vögeln. Na, egal, Scooter ...«
Er stand auf Skinners Dach — seine Hosenbeine flatterten in einer Brise, die keine Spur vom Sturm der letzten Nacht mehr in sich trug — und schaute auf die Stadt hinaus, die in ein seltsames metallenes Licht getaucht war. Fetzen seines Traums geisterten noch immer in seinem Kopf herum ... Shapely hatte mit ihm gesprochen. Seine Stimme war die des jungen Elvis Presley gewesen. Er sagte, er habe seinen Mördern vergeben.
342
Yamasaki schaute zum aufgerichteten Transamerica—Dorn mit dem Stützverband hinüber, den sie ihm nach dem Little Grande angelegt hatten, und konnte die Traumstimme beinahe hören. Sie wußten es einfach nicht besser, Scooter.
Unten fluchte Skinner, während er sich mit dem Wasser wusch, das Yamasaki auf dem Coleman-Kocher erhitzt hatte.
Yamasaki dachte an seinen Doktorvater in Osaka.
»Ist mir egal«, sagte Yamasaki auf Englisch. San Francisco war sein Zeuge.
Die ganze Stadt war ein Thomasson. Vielleicht war Amerika selbst ein Thomasson.
Wie sollten sie das in Osaka, in Tokio verstehen?
»He! Du da, auf dem Dach!« rief jemand.
Yamasaki drehte sich um und sah einen dünnen Schwarzen auf dem Gewirr der Träger, die das obere Ende von Skinners Lift trugen. Er hatte einen dicken Tweedmantel an und eine gehäkelte Mütze auf dem Kopf. »Alles in Ordnung bei euch da oben? Wie geht's
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