Virtuosity - Liebe um jeden Preis
jetzt nicht an die Möglichkeit denken, dass ich Clark vielleicht verlieren könnte, wenn ich das hier wirklich durchziehen wollte.
»So, da wären wir«, sagte der Taxifahrer plötzlich und fuhr an den Straßenrand.
Ich zahlte und schälte mich – samt voluminösem Abendkleid, Geige mit Laptop und hochhackigen Schuhen – aus dem Taxi.
Links und rechts vor mir erstreckte sich der beigebraune Sandstrand, der das eiskalte Wasser des Sees säumte. Der Strand war nur spärlich besucht. Wahrscheinlich war das Wasser immer noch furchtbar kalt und nur die Mutigsten wagten ein Bad im See. Außerdem war es jetzt spät und die Temperatur hatte sich abgekühlt. Kleine Gruppen von sandigen, in Handtüchern eingemummelten Menschen saßen über den Strand verteilt vor ihren Picknickkörben.
Ich zog die Schuhe aus und hängte sie an den Gurt meines Geigenkastens. Der Sand fühlte sich trocken an und knirschte unter den Füßen. Auf halber Höhe zum Wasser hielt ich an und suchte mir ein Fleckchen aus, das weit genug von anderen Leuten entfernt war, damit ich mir keine dummen Kommentare über mein Outfit anhören musste. Ich setzte meinen Kasten ab und ließ mich darauf nieder.
Es dauerte eine Weile, bis mein Laptop hochgefahren war, und ich sah mich so lange am Strand um. Die Sonne, die gerade noch über dem Horizont hing, glühte dunkelorange. Die gleiche Farbe wie meine Violine. Als meine Augen zu schmerzen begannen, sah ich weg. Ich drehte mich um, damit ich den Bildschirm richtig sehen konnte. Mir blieb nicht mehr viel Zeit.
Ich öffnete mein E-Mail-Programm und klickte auf »Neu«. Ich spürte, wie die Sonne langsam hinter mir unterging, während ich tippte. Die unterste Kante der Sonne war bereits mit dem Horizont verschmolzen und hatte den See in ein feuriges Orange getaucht, als ich fertig war. Ich las mir die E-Mail durch. Nicht perfekt, aber gut genug.
Ich hatte gerade noch Zeit, die E-Mail-Adressen einzugeben, die ich brauchte. Die meisten davon waren in meiner Kontaktliste gespeichert und die anderen waren nicht schwer aufzutreiben. Die schwierigsten waren die der Wettbewerbsorganisatoren und der drei Juroren. Aber der Guarneri-Wettbewerb verfügte über eine anständige Webseite.
Ich las die E-Mail ein letztes Mal durch. Wenn ich sie wirklichabschicken wollte, müsste ich es jetzt tun. Das Konzert sollte in einer halben Stunde beginnen. Ich sah auf den lodernden Horizont. Der See hatte sich unter der halb untergegangenen Sonne in eine Lavagrube verwandelt. Ich holte tief Luft und klickte auf Abschicken.
Mit dieser E-Mail möchte ich erklären, warum ich heute Abend nicht auftreten werde. Ich hoffe, dass meine Nachricht zumindest einen von Ihnen rechtzeitig erreichen wird. Es tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe, aber wenn Sie lesen, was ich geschrieben habe, werden Sie mir sicher zustimmen, dass ich meine Teilnahme zurückziehen musste.
Mittwochabend, einige Stunden nach der Bekanntgabe der drei Finalisten, fand ich heraus, dass Dr. Daniel Schmidt und Dr. Yuan Chang jeweils $500.000 erhalten haben, um Jeremy King nicht in die Endausscheidung zu lassen. Ich kann nicht erklären, wie ich es herausfand oder wer ihnen das Geld gegeben hat. Ich weiß, dass ich die Hauptverdächtige bin, aber ich war es nicht. Schließlich würde ich dann nicht diese E-Mail schreiben.
Ich kann diese Entdeckung einfach nicht für mich behalten. Natürlich könnten die beiden beschuldigten Juroren einfach alles abstreiten und ich habe keine Ahnung, wie man Geldtransfers überwacht oder Bankkonten überprüft. Aber ich denke, Dr. Laroche wird ihre eigene Meinung dazu haben, ob ihre Kollegen parteiisch gestimmt haben. Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass sie mit der Entscheidung einverstanden war, Jeremy nicht in die Endausscheidung zu lassen.
Wahrscheinlich fragen Sie sich, warum ich bis jetzt gewartet habe, Sie zu informieren. Ich wünschte, ich hätte einen besseren Grund, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mich nicht eher gemeldet, weil ich den Wettbewerb gewinnen wollte. Ich wollte schon immer gewinnen. Zumindest hatte ich das geglaubt. Doch weiß ich jetzt, dass ich die Beste sein wollte. Heute Abend zu gewinnen würde dies nichtunter Beweis stellen. Die Beste zu sein steht hier gar nicht mehr zur Debatte.
Es tut mir wirklich leid.
Carmen Bianchi
Ich blieb sitzen und sah zu, wie sich der Himmel von Orange über Pink bis Lila färbte und dann dunkel wurde. Ein Wind kam auf und ich
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