Virulent
Er hob sie hoch und drehte die Flaschenöffnung nach unten. Das meiste Bier spritzte ihm ins Gesicht oder aufs Bett, doch ein Teil davon landete in seinem Mund, also war nicht alles verloren.
»Ich hab wieder ein paar erwischt, Bill«, sagte Perry. »Ich hab diese Arschlöcher umgebracht.«
Bill antwortete nicht. Er antwortete auch nie auf Fragen, die man ihm stellte. Nur manchmal tauchte er unerwartet auf und sagte zu Perry, er solle sich eine Waffe besorgen und sich umbringen.
Bill. Fuck, warum musste Margo ihn unbedingt erwähnen? Perry trank, um Bill zu vergessen. Aber das funktionierte nicht. Nichts von dem, was Perry jemals tat, funktionierte. Außer wenn er jemandem Schmerzen zufügen wollte, wenn er jemanden umbringen wollte. Das funktionierte immer.
Aber Scheiße nochmal, was war eigentlich Dews Problem? Warum tat er so, als sei er so furchtbar sauer wegen dieser Familie. Warum konnten Dew und die anderen das einfach nicht verstehen? Diese Leute waren keine Menschen mehr. Sie waren schwach. Sie hatten keine Disziplin. Und das hieß,
dass sie sterben mussten. Wenn einer von ihnen, irgendeiner, auch nur versucht hätte, sich die Dreiecke aus dem Körper zu schneiden, hätte Perry ihn leben lassen. Vielleicht. Aber das spielte keine Rolle, denn bisher hatte noch keiner gekämpft.
Keiner außer ihm.
Warum? Warum war er etwas Besonderes? Er wusste, warum. Weil sein betrunkener, abgefuckter Vater, der seine Frau und sein Kind schlug, mit dem Gürtel dafür gesorgt hatte, dass er so ein zäher Hund geworden war.
Perry stellte die Bierflasche rechts neben sein Gesicht auf das Bett. Er hielt sie schräg. Diesmal landete mehr in seinem Mund als auf dem Bett. Sein Gesicht war ganz nass und klebrig.
Für die Infizierten empfand er nichts. Überhaupt nichts. Dieser unheimliche kleine Junge war ohne zu zögern auf ihn losgestürmt. Sie waren nicht nur infiziert, sie waren dumm.
Das war der letzte Gedanke, der Perry durch den Kopf ging, bevor er zum zweiten Mal in dieser Nacht einschlief.
14
Der Hinterhof von Chuy Rodriguez
Chuy Rodriguez lebte an der Ecke Hammerschmidt und Sarah Street in South Bend, Indiana. Chuy hatte eine Frau, Kiki, und zwei Kinder: John, sechzehn, und Lola, vierzehn.
In ihrem Hinterhof stand eine spärlich belaubte Eiche, die unter irgendeiner Rindenkrankheit litt. Der Baum hatte noch drei, vielleicht auch noch fünf Jahre zu leben, und Chuy fürchtete
sich bereits vor dem öden Anblick, den sein Hinterhof bieten würde, wenn er die Eiche fällen musste.
Es war jedoch nicht Chuys Baum, der einem Sorgen bereiten musste. Um das wahre Problem zu sehen, musste man direkt über dem Baum nach oben blicken.
Etwa vierzig Meilen weit nach oben.
Hätte jemand nach oben gesehen, hätte er die irgendwie verwaschene Stelle, die einem winzigen Hitzeflimmern glich, möglicherweise nicht entdeckt – und zwar selbst dann nicht, wenn er ein besonders leistungsstarkes Teleskop benutzt hätte. Der Schimmer kam dadurch zustande, dass das Licht sichtbarer Wellenlängen auf ein Objekt traf, über seine Oberfläche glitt und dann seine ursprüngliche Bahn fast ohne jede Ablenkung fortsetzte.
Streng genommen war das Objekt nicht unsichtbar. Hätte es sich um einen massiven Gegenstand gehandelt, der den halben Horizont einnahm, hätte ihn inzwischen jeder bemerkt.
Da es jedoch nur ein wenig größer als ein Bierfass war, hatte es noch niemand entdeckt.
Das Objekt war unbelebt. Kalt. Berechnend. Es hatte keine Gefühle. Hätte es Gefühle gehabt, als das Marinesco-Tor in einer erdbebenartigen Explosion verschwand, hätte es wahrscheinlich gesagt: Ohhhh, FUCK, nicht schon wieder.
Am Anfang war die Oberfläche des Objekts glatt und poliert gewesen, und es hatte die Form einer Träne mit zwei spitzen Enden. Doch das war nur beim Start so, vor der langen Reise, die es in eine geostationäre Umlaufbahn über Chuy Rodriguez’ kranker Eiche geführt hatte.
Genau genommen ist der Weltraum nicht leer. Es befindet sich dort jede Menge Materie. Materie wie Staub, Felsen und Eis sowie Bruchstücke der verschiedensten Substanzen. Es ist
nur so, dass diese Teile wirklich, wirklich weit voneinander entfernt sind. Wenn man jedoch weit genug durch den scheinbar leeren Raum fliegt, stößt man auf diese Materie. Je nach dem, wie schnell man fliegt, kann bereits ein winziges Materiestäubchen einen ziemlich großen Schaden anrichten. Die felsenartige Doppel-Träne war so gebaut, dass sie trotz solcher Schäden weiterfliegen
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