Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virulent

Virulent

Titel: Virulent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Sigler
Vom Netzwerk:
untersuchen und die biologische Blaupause des Wirtskörpers zu lesen wie ein Computer, der die Zeilen eines Software-Codes liest. Es gab die Erbauer, die jene flexiblen Cellulosestrukturen schufen, aus denen sich bei der ursprünglichen Varietät die Dreiecke entwickelt hatten. Und es gab die Hirten, Mikroorganismen, die auf der Suche nach Stammzellen in den Körper ausschwärmten, diese aus ihrer Umgebung lösten und zur Cellulosestruktur transportierten, wo die Ablesekugeln sie aufschnitten und die DNA veränderten.
    Bei der neuen Varietät gab es einige Ergänzungen. Diese modifizierte die Stammzellen so, dass sie winzige, frei bewegliche Stränge kräftiger, flexibler Mikro-Muskelfasern produzierten. Diese Fasern verknüpften sich selbstständig miteinander und schufen so spezifische kollektive Muster. Während Bobby Jewells Körper die Aktivitäten der Ablesekugeln, der Erbauer und der Hirten verarbeiten musste, mussten seine Tochter, sein Bruder und seine Nichte mit dem neuesten Mikroorganismus zurechtkommen.
    Chelsea, Donald und Betty würden die Wirkungen der Crawler zu spüren bekommen.

TAG DREI
    27
Kriechen
    Perry Dawseys Samen stammten aus Probe dreizehn. Seine Dreiecke waren nach sieben Tagen bereit zum Schlüpfen. Aufgrund konstanter Verbesserungen bei ihrer Entwicklung, benötigten die Samen aus Probe siebzehn nur fünf Tage.
    Fünf Tage, das entsprach einem Wunder an Selbst-Organisation, der Beweis für eine in großem Maßstab weiterentwickelte Technik. Man konnte es als eine Art Upgrade der alten Varietät betrachten.
    Für die neue Varietät jedoch wirkten fünf Tage wie eine Ewigkeit. Denn während Perrys Strukturen viele komplexe Teile hatten entwickeln müssen, produzierten die neuen Strukturen nur eine einzige Sache.
    Modifizierte Stränge menschlichen Muskelgewebes.
    Losgelöstes Muskelgewebe.
    Jeder Strang enthielt natürlich Muskelzellen, doch ebenso winzige Sekretionszellen für Neurotransmitter und eine Reihe komplexer kristalliner Moleküle, die in der Lage waren, rudimentäre Signale sowohl zu senden als auch zu empfangen.
    Ein einzelner Strang alleine war wertlos. Er konnte sich hin und her winden, und das war schon alles. Doch er konnte auch Signale aussenden und empfangen, die seiner Umgebung mitteilten: »Ich bin hier.« Genau das war der Schlüssel, denn
die Stränge waren nicht dazu entwickelt worden, alleine zu arbeiten.
    Die »Ich bin hier«-Signale brachten die Stränge zusammen wie einzelne Frühstücksflocken, die auf der Oberfläche von Milch schwimmen. Die Teile treiben so lange wahllos hin und her, bis sie einander nahekommen; sobald das geschieht, bindet sie die Oberflächenspannung noch dichter aneinander. Sobald ein Strang das »Ich bin hier«-Signal eines anderen Strangs entdeckt hatte, schlängelte er sich in dessen Richtung. Die zuckenden Stränge bewegten sich aufeinander zu, berührten sich und umschlangen einander. Jetzt war ihr Signal doppelt so stark, wodurch es noch mehr Stränge anzog, und dann immer so weiter.
    Eine normale menschliche Muskelzelle ist für sich genommen nutzlos. Doch viele Zellen, die zusammenarbeiten, produzieren eine komplexe Bewegung. Die losgelösten Stränge folgten einer ähnlichen Logik: Das Ganze, so zeigte sich, war größer als die Summe seiner Teile. Sobald eine Ansammlung freier Muskelstränge eine gewisse Größe erreicht hatte und etwa fünfhundert Mikron breit war, verstummte das »Ich bin hier«-Signal.
    Ein Mikron ist der millionste Teil eines Meters. Fünfhundert Mikron sind der fünfzigtausendste Teil eines Meters, was einem Hundertstel Zentimeter entspricht. Das ist wirklich sehr klein, doch man kann es trotzdem mit bloßem Auge erkennen.
    Hätte man also in den Körper von Chelsea, Donald oder Betty Jewell geblickt, hätte man etwas ziemlich Beunruhigendes entdeckt – etwas, das fast wie eine menschliche Nervenzelle aussah. An einem Ende befand sich das lange, dünne Axon. Am anderen Ende verzweigten sich die Dendriten in alle Richtungen wie Nebenflüsse eines großen Stroms.

    Doch bei einer gewöhnlichen Nervenzelle verhaken sich die Dendriten nicht in andere Nervenzellen, Muskelzellen und Membranen, und ganz gewiss strecken sie sich nicht, um zu ziehen.
    Gewöhnliche Nervenzellen kriechen nicht.
    Die Crawler errichteten ein ganz einfaches Navigationssystem: Sie verursachten Schmerzen. Das war eine praktische Strategie, die nichts mit Sadismus zu tun hatte. Der menschliche Körper ist darauf ausgerichtet,

Weitere Kostenlose Bücher