Virulent
das Dew als Kind nach einem Kampf hätte sagen können. Aber das war mehr als fünfzig Jahre her. Die heutigen Kids waren anders. Sie versetzten einander nicht ein paar Schläge, um sich danach die Hände zu schütteln und es gut sein zu lassen. Heute redeten sie jede Menge Scheiß und besorgten sich eine Waffe. Überrascht stellte Dew fest, dass er eine gewisse Bewunderung für Perry empfand.
»Ich würde es kaum als fair bezeichnen, dass ich dich mit einem Tischbein geschlagen habe«, sagte Dew.
Perry zuckte mit den Schultern. »Ich wiege etwa sechzig Pfund mehr als du. Hätte ich dich in die Finger bekommen, hätte ich dich wahrscheinlich umgebracht. Außerdem spielt es keine Rolle, wie man gewinnt, solange man nur gewinnt.«
Für einige Augenblicke war es im Zimmer vollkommen still.
»Dann«, sagte Dew, »suchst du also keine Revanche?«
Perry starrte ein paar Sekunden lang die Wand an und sagte dann nachdenklich: »Es gibt nicht viele Menschen, die es schaffen, mich zu besiegen. Es gibt dich und … es gab noch einen
einzigen anderen Menschen, der das jemals geschafft hat. Ich will keine Revanche. Ich werde mitspielen.«
Dew nickte. Er gestattete sich die Hoffnung, dass er endlich zu Perry durchgedrungen war. »Okay, mein Junge. Fangen wir ganz oben an. Du hast mir gesagt, dass sich etwas verändert hat. Was hat sich verändert?«
»Die Stimme.«
»Die Stimme. Du hast gesagt, die hätten bisher noch keine Worte ausgesprochen. Kannst du jetzt irgendwelche Worte hören?«
Perry schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich nahe genug an einen Infizierten herankomme, kann ich Worte hören, aber wenn ich weit weg bin, ist es eher ein Gefühl. Bilder, Emotionen, solche Dinge. Manchmal bekomme ich es zu fassen, und manchmal ist es wie ein Flüstern in einem überfüllten Raum. Je mehr Infizierte sich an einem Ort aufhalten, umso stärker wird das Gefühl. Ich kann nur einzelne Bruchstücke auffangen, doch manchmal genügt das, um die Richtung der Unterhaltung festzustellen. Verstehst du, was ich meine?«
Dew nickte.
»Jetzt sind da dieselben Bruchstücke, aber es gibt eine neue … Intensität. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es fühlt sich irgendwie an als … als läge man nach der Hälfte des Spiels einundzwanzig Punkte zurück, doch du hast deine Konterstrategie dem Spiel angepasst, du treibst den Gegner in die Enge, dein Angriffsspieler hat zwei Treffer gelandet, und jetzt liegst du nur noch sieben Punkte zurück, das Spiel dauert noch drei Minuten und du bist so aufgeregt, weil dir nur noch ein einziger Zug gelingen muss, und dein Angriff führt zu einem Gleichstand oder du gewinnst sogar. Das ist schwierig, nicht wahr? Aber es kommt dir so vor, als wäre es Schicksal,
als würde es ganz sicher passieren. Du hast den Schwung. Du bist überzeugt, dass du die gegnerische Mannschaft durchschaut hast, und dein Sieg ist … ist…»
»Unausweichlich?«, fragte Dew.
Perry schnippte mit den Fingern, deutete auf Dew und lächelte. Wegen seiner genähten, angeschwollenen Lippe sah das Lächeln grässlich aus.
»Genau«, sagte Perry. »Es ist unausweichlich. So fühlt es sich an.«
»Also sagt diese Stimme Gottes – oder vermittelt jedenfalls diesen Eindruck –, dass wir es mit einer Art Comeback im vierten Viertel zu tun haben?«
Perry nickte. »Ja. Das kommt der Sache ziemlich nahe.«
»Und was wird als Nächstes passieren?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Perry. »Vielleicht handelt es sich ja wirklich um die Stimme Gottes, und wenn wir in den Himmel kommen, tritt er unserer Mannschaft in den Hintern und lässt uns unseren Kram zusammenpacken.«
»Es gibt keinen Himmel«, sagte Dew. »Und es gibt keinen Gott. Denn sollte es wirklich ein allmächtiges Wesen geben, dann muss es sich um ein verdammt hinterhältiges Arschloch handeln. Es gefällt ihm, gute Menschen sterben und böse Menschen leben zu lassen. Und offensichtlich gefällt es ihm, ehemalige Football-Stars mit Dingen zu infizieren, die diese von innen heraus auffressen.«
»Darauf trinke ich«, sagte Perry und nahm einen kräftigen Schluck Wild Turkey.
»Unser Lage ist wirklich vertrackt, mein Junge«, sagte Dew. »Vielleicht solltest du aufhören zu trinken.«
»Vielleicht solltest du anfangen«, erwiderte Perry. »Ich habe meinen besten Freund umgebracht, mir mein Ding abgeschnitten,
und ich bin eine Art psychisches Callcenter für diese Kreaturen. Und du? Du, mein Freund, wirfst Bomben auf Amerika. Du bist verantwortlich für
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