Virulent
Neuen Testament, und dann öffnete er das Kleine Blaue Buch. Manchmal überflog er gewisse Bibelstellen nur, blätterte herum, las einen bestimmten Satz und ließ einen anderen aus, doch bei dem Kleinen Blauen Buch tat er das nicht. In diesem Buch las er jedes einzelne Wort.
Jeden einzelnen Namen.
Er schlug es auf und fing an zu lesen.
Lewis Aucoin, 22.
Er notierte nie den Rang. Der Tod war der Tod. Man bekam keinen besseren Tod, nur weil man einen höheren Rang hatte, oder?
Parker Cichetti, 27.
Er erinnerte sich an Parker. Ein guter Junge. Konnte jonglieren.
Damon Gonzalez, 20.
Er war Damon nie persönlich begegnet. Nicht ein einziges Mal.
Er fuhr mit der Liste fort, wobei er jedem Namen ein kurzes
Erinnern widmete, ein kleines, flackerndes Licht in der irdischen Welt, nur für den Fall, dass es im Jenseits dunkel und stumm wäre. Manchmal fragte er sich, ob die Seelen der Toten nur dann den Himmel erlebten, wenn sich jemand an ihren Namen erinnerte. Wenn man erst einmal vergessen war, dann war man für immer verschwunden. Leute wie Einstein, Patton und Cäsar … jeden Tag lasen die Menschen etwas über sie in Geschichtsbüchern, begegneten ihren Namen im Kino und im Fernsehen – sie verbrachten eine Ewigkeit im Himmel. Doch Menschen wie Damon? Wahrscheinlich würde seine Existenz schon kurz nach Odgens Tod einfach erlöschen.
Er wusste nicht, woher bei ihm dieser merkwürdige Glaube kam, doch er hatte ihn immer im Hinterkopf, er trieb ihn an, trieb ihn zu immer größeren Leistungen. Er musste sich einen Namen machen. Er hätte nie gedacht, dass dieser Name einmal größer sein könnte als der eines Churchill oder der eines Schwarzkopf, doch inzwischen wusste er es besser.
Er hatte eine Aufgabe erhalten, wie man sie nur einmal im Leben gestellt bekommt, und wenn er Erfolg hatte, würde ihn der Sieg für alle Zeiten in die Geschichtsbücher bringen.
Stellte Gott ihn mit dieser Aufgabe auf die Probe? Das war definitiv möglich. Gewiss, Gottes Wege waren unergründlich, doch zwanzig Jahre beim Militär hatten Odgen mit mehr Unmenschlichkeit unter den Menschen konfrontiert, als ihm lieb war. Manchmal führte Gott die Spieler einfach nur aufs Feld und ließ dann zu, was auch immer geschehen mochte.
Bevor dies alles angefangen hatte, war er davon überzeugt gewesen, dass er noch vier oder fünf Jahre brauchen würde, um Lieutenant Colonel zu werden, und dass er es vielleicht gegen Ende seiner Karriere zum Colonel bringen und mit diesem Rang in Pension gehen würde. Er spielte das politische Spiel
nicht gut genug. Er kannte sich mit Taktik und Strategie aus. Er wusste, wie man Schlachten gewann und wie man Verluste minimierte. Das waren die Dinge, auf denen Beförderungen in einer Armee basieren sollten. Doch es funktionierte nicht immer so.
Wie hatten sich die Dinge doch in den letzten fünf Wochen geändert. Jetzt hatte er den Rang eines Colonels. Er hatte direkt mit den Stabschefs gesprochen, er besaß ihr uneingeschränktes Vertrauen. Er verfügte über schwarze Kassen, einen Blankoscheck was Nachschub, Transport und Luftunterstützung betraf.
Eigentlich hätte dieses Kommando einem älteren Soldaten zugestanden, doch Präsident Hutchins ging Geheimhaltung über alles. Er wollte möglichst wenige Personen informieren. Odgen hatte mit seiner ersten Mission einfach nur die Glückskarte gezogen, und jetzt würde er sie ausspielen.
Er würde die Mission erfüllen, jedes Tor zerstören, das er fand, und dabei so wenig neue Namen wie möglich in das Kleine Blaue Buch eintragen. Siebenunddreißig Namen waren genug, aber er wusste, dass es mehr werden würden.
Viel mehr.
Er stellte das Buch und die Bibel zurück und legte sich hin, um seine üblichen vier Stunden zu schlafen. Wenigstens musste er die Nacht nicht damit beenden, dass er Kondolenzbriefe an Mütter, Väter und Ehefrauen schrieb. Am Morgen würde er sich neuen Plänen widmen, würde herausfinden, wie man sich auf einen Feind vorbereitet, gegen den noch nie ein Mensch gekämpft hatte, einen Feind, der garantiert seine Taktik ändern würde.
Was immer auch geschehen mochte, Colonel Charlie Odgen war bereit.
32
Gaylord geht zu Bett
Familie Jewell gebührte die Ehre, die meisten Infizierten in ihren Reihen zu haben, doch sie waren nicht die einzigen Einwohner von Gaylord, die Fieber, Erschöpfung und Paranoia durch Schlaf entfliehen wollten.
Bobby und Chelsea Jewell lagen bereits im Bett. Donald und Betty schliefen unruhig auf einem Rastplatz
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