Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
Vom Netzwerk:
vielleicht
irgendwann wieder Fröhlichkeit in ihrem Gesicht sehen zu können, wenn sie
morgens in den Spiegel guckte. Doch sie hatte sich geirrt. Die Bilder waren
geblieben und die Traurigkeit ihrer Lippen ebenfalls.
    Dora wusste nicht sicher, wann
bei Passe der Schalter umgeschlagen war. Hatte er einmal auf einer Demo
Radikale kennengelernt? War er im Internet auf radikale Seiten gestoßen? Sie
wusste es nicht. Sie wusste nur, dass er radikaler Propaganda verfallen war.
Seine Argumente waren nie stichhaltig oder auch nur logisch, wenn Dora mit ihm
diskutierte, doch das war bei Propaganda auch nicht üblich. Diese setzte auf
Hetzen anstatt auf Stichhaltigkeit.
    Dora machte sich selbst dafür
verantwortlich, dass Passe war, wie er war. Es war ihr Fehler, dass es ihr nie
gelungen war, ihn von der Sinnlosigkeit von Gewalt und von der Macht der Worte
zu überzeugen. Gewiss verfügte Passe nicht über ihren Intellekt, er hatte nie
studiert, doch das musste ja nicht gleich bedeuten, dass er dumm war. Sie
wusste, dass er es nicht war.
    Liebte sie ihn noch? Schwer zu
sagen. Sie fühlte sich verantwortlich für ihn. Sie hatte ihn in die linke Szene
eingeführt, dann hatte er Gewaltpotenzial entwickelt, und demnach war es ihre
Schuld, dass die Szene nun einen Radikalen mehr hatte. Es war ihre Schuld, und im
Umkehrschluss war sie auch dafür verantwortlich, Passe wieder geradezubiegen.
Sie wollte ihn nicht verändern. Sie wollte nur, dass er wieder der Passe wurde,
den sie kennengelernt hatte. Dann würde sie ihn auch wieder lieben, ganz
bestimmt.
    „Gewalt ist der einzige Weg”,
hörte sie ihn neben sich sagen. Seit geraumer Zeit unterhielt sich Passe mit
Hagen, dem Wirt der Kneipe. Auch der war Dora mehr als suspekt. Was für ein
Mensch musste man sein, um die Ermordungen anderer zu seinem eigenen Vorteil,
noch dazu zu Kommerz zu nutzen? Wie konnte sich dieser Typ links nennen, wenn
er offenbar doch so versessen auf seinen Gewinn war?
    „Das Beispiel Bolivien hat es
doch gezeigt”, fuhr Passe fort. „Die würden jetzt noch in der liberalen Falle
sitzen, wenn die Bevölkerung sich nicht gegen das Regime erhoben hätte.”
    „Genau”, stimmte Hagen zu, und
Dora hatte das Gefühl, er habe nicht den Hauch einer Ahnung, was Passe ihm da
gerade erzählte.
    Jedenfalls konnte sie den
Stumpfsinn, den ihr Freund produzierte, nicht mehr länger mit anhören. „Du willst
doch wohl Bolivien nicht mit uns hier vergleichen?” fragte sie ihn.
    „Natürlich”, erwiderte Passe. Ihm
schien soeben erst aufzufallen, dass Dora auch noch da war. „Es ist exakt das
Gleiche. Die neoliberale Politik von Gonzalo Sánchez de Lozada hat das Land
fast in den Ruin getrieben. Und der Volksaufstand von El Alto hat dazu geführt,
dass Sánchez de Lozada das Land verlassen musste.”
    „Genau”, warf Hagen erneut ein
und Dora fragte sich, ob sein Vokabular sich auf diesen Eintrag beschränkte.
    „Zunächst wollten die
Aufständischen nur ihr Gas verteidigen, das ausländische Unternehmen mit
tausend Prozent Gewinn aus dem Land brachten. Dann wollten sie ein Referendum
durchführen. Also reden – genau das, was du doch immer willst. Und sie wurden
brutal niedergeschlagen es gab sechzig Tote. Erst als die Aufständischen sich
weiter radikalisiert haben, konnten sie die Flucht des Präsidenten bewirken und
die ausländischen Investoren aus dem Land jagen.”
    Dora konnte nicht fassen, dass
Passe wirklich an das glaubte, was er da sagte. Das war genau die Propaganda,
die ihn verdorben hatte. Natürlich stimmten die Fakten. Hier zu lügen wäre zu
offensichtlich, denn jeder konnte das nachprüfen. Aber der Transfer stimmte
einfach nicht, der suggerierte Bezug war nicht vorhanden. Was hatten die
Aufstände in Bolivien mit den Protesten bei einem G8-Gipfel zu tun?
    „Du kannst doch nicht ein
verzweifeltes, hungerndes Volk, das um sein Überleben kämpft, mit uns
vergleichen?” sagte sie. „Die wollten lediglich ihre sowieso schwache Regierung
zum Teufel jagen und die Abhängigkeit von den Transnationalen beenden, während
wir die mächtigsten Staaten der Welt dazu bringen wollen, arme Länder nicht
weiter in Abhängigkeiten zu treiben. Die Aufständischen von El Alto konnten etwas
erreichen, indem sie ihre Regierung stürzten. Aber was willst du denn hier
erreichen? Den Präsidenten der Vereinigten Staaten stürzen?”
    „Ja!” brüllte Passe und riss lachend
die Faust in die Höhe.
    Dora ließ sich nicht beirren.
„Gewalt bringt uns hier

Weitere Kostenlose Bücher