Virus (German Edition)
nichts. Wir können keine Regierung stürzen. Glaubst du
vielleicht, irgendeinen da drin”, sie deutete mit der Hand vage in Richtung
Norden, in Richtung des eingezäunten Bereichs, „interessiert, ob du hier
draußen einem Polizisten seinen Schlagstock klaust oder nicht?”
„Wir müssen Aufmerksamkeit
erzeugen”, hielt Passe dagegen. „Wenn niemand unsere Botschaft sieht, kann sie
auch niemanden beeindrucken.”
„Natürlich”, erwiderte Dora mit
leichtem Sarkasmus. „Sobald du merkst, dass dein Vergleich mit Bolivien auf
allen Beinen hinkt, kommt wieder die Aufmerksamkeitsnummer. Bei all der
Aufmerksamkeit, die du bei den Fernsehsendern erregst, solltest du aber
vielleicht auch mal merken, dass du überhaupt keine Botschaft mehr
transportierst. Gewalt ist deine Botschaft. Oder welches Spruchband hast du
hochgehalten, welche Parole hast du gebrüllt, als die Fernsehteams dich gefilmt
haben? Keine! Du warst viel zu beschäftigt damit, Steine zu werfen.”
„Die Leute da draußen kennen
unsere Aussage und wissen, wofür wir stehen. Und sie sehen, dass wir kämpfen.
Das sollte doch wohl Botschaft genug sein, oder?” erwiderte Passe. Dora sah Wut
in seinen Augen. Sie wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie seine Argumente
als haltlos entlarvte, und noch weniger, wenn sie dies vor anderen Menschen
tat, vor denen Passe sich aufzuspielen versuchte. Aber sie konnte nicht anders.
Sie konnte sein leeres Hetzen nicht mehr mit anhören. Zumal es ja nur die
Reproduktion der Gedanken anderer war. Wo waren seine eigenen Gedanken?
„Ja, die Leute da draußen kennen
eure Aussage”, sagte Dora. „Und die ist Gewalt, während unsere Aussage Frieden
ist. Von der Sache der Linken habt ihr nicht das Geringste vermittelt, keine
Forderung, keine Einstellung, keinen Gedanken. Vielleicht haben wir das auch
nicht, ich weiß es nicht, aber wir haben es wenigstens getan, ohne jemanden
dabei zu verletzen.”
Damit wandte sie sich ab, stützte
den Kopf in ihre Handflächen und gab sich wieder ihren Gedanken hin. Sie hatte
jetzt wirklich andere Sorgen.
49.
„Was für ein externer Berater?”
fragte Herforth. „Ich weiß nichts von einem externen Berater.”
In dem Moment klingelte ihr
Handy. Es meldete sich eine Beamtin der Kripo Rostock, eine Kollegin von
Wegmann, um ihr mitzuteilen, dass Wegmann sie dringend in der Direktion
sprechen müsse. Herforth seufzte. Was hatte dieser Stümper jetzt wieder für
einen Mist gebaut? Würde sie auch mal dazu kommen, den Fall zu lösen, oder war
sie ausschließlich dafür verantwortlich, die Fehler von Mister Ungeschickt
auszubügeln?
In dem Moment, da sie das
Gespräch beendete, betrat eine junge Frau im weißen Laborkittel die Cafeteria.
„Ein Telefonat für Sie, Herr
Professor”, sagte sie. „Klingt wichtig, ich konnte den Anrufer nicht auf später
vertrösten.”
Tremmel seufzte. „Manchmal kann
es ganz schön Stress verursachen, ein gefragter Mann zu sein. Würden Sie mich
für ein paar Minuten entschuldigen?”
„Es sieht ganz so aus, als wäre
ich auch eine gefragte Frau”, erwiderte Herforth gereizt. „Ich muss los. Aber
wir sind ja sowieso durch. Danke für Ihre Hilfe, Dr. Tremmel.”
Sie schüttelte seine Hand und sah
beim Verlassen des Raums aus dem Augenwinkel, wie er sich seine Brille
zurechtrückte, bevor er seiner Assistentin folgte.
–––––
Wegmann wischte sich den Schweiß
von der Stirn. Das war gerade noch einmal gutgegangen. Mehr durch Zufall hatte
er erfahren, dass Herforth zum Institut für Rechtsmedizin gefahren war. Hätte
er nicht eingegriffen, hätte es mit Sicherheit nicht mehr lange gedauert, bis
sein Deal mit der CIA aufgeflogen wäre. Er würde sich Einiges von ihr anzuhören
haben, weil er sie ohne wirklichen Grund zu sich bestellt hatte, doch das Opfer
hatte er bringen müssen. So blieb wenigstens die Hoffnung.
50.
In vollem Sprint durchquerten
Debbie und Holger die Hotellobby. Debbie hatte ihre Flip-Flops ausgezogen, um
schneller rennen zu können. Sie war sich relativ sicher, dass es in einem Hotel
dieser Klasse nicht allzu häufig vorkam, dass Menschen barfuß durch die Lobby
sprinteten. Mehr Leute sollten es versuchen – der tiefe Teppich fühlte sich
wohlig an unter den nackten Fußsohlen. Was für ein Quatsch einem selbst in
Momenten höchster Anspannung manchmal durch den Kopf ging!
Nichts konnte in diesem Moment
unwichtiger sein als die Beschaffenheit des Lobbyteppichs. Das Einzige, was nun
zählte, war, Trébor zu
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