Virus (German Edition)
dementsprechend bei…”
„Mir”, vollendete Debbie den Satz
für Holger. Er nickte und lächelte sie an. Debbie brauchte einen Moment, um
sicher zu sein, dass sie nichts falsch interpretierte.
„Das bedeutet also, ich bin das
letzte Opfer?” fragte sie ein wenig unsicher.
„Davon gehe ich aus, Debbie. Wir
haben also noch reichlich Zeit, den Engel der Apokalypse zu finden, bevor wir
uns um dich ernsthaft sorgen müssen.”
Erleichterung, wie sie sie seit Langem
nicht empfunden hatte, machte sich in Debbie breit. Sie rammte ihren Kaffee
kleckernd auf das Nachttischchen neben dem Bett und schlang ihre Arme um
Holgers Hals. Dieser konnte soeben noch seinen eigenen heißen Kaffee aus der
direkten Gefahrenzone manövrieren, umfangreiche Flecken auf seiner Bettwäsche
waren allerdings nicht zu verhindern. Debbie war es egal. Sie würde ihm neue
Bettwäsche kaufen – so viel er wollte.
Holgers Nähe fühlte sich gut an,
mit niemand anderem auf der Welt wollte sie diesen Moment der Erleichterung
teilen. Doch eine Frage begann ihr auf der Seele zu brennen und langsam entließ
sie ihn aus ihrer Umarmung.
„Und zweitens?” fragte sie.
„Was zweitens?”
„Du sagtest, das im Kreise Gehen
sei seine erste Ankündigung. Was ist die zweite?”
„Die zweite ist nicht ganz so
erfreulich”, erwiderte Holger. „Der Mörder kündigt im zweiten Teil seiner
Prophezeiung, wie ich denke, sein eigenes Martyrium durch Verbrennen an. Sein
Tod aber würde bedeuten, dass wir von ihm nichts mehr über den Virus erfahren
können. Wir müssen ihn also stellen, bevor er sich selbst umbringen kann.”
„Wie wäre es, ihn zu stellen,
bevor er mich umbringen kann?” erwiderte Debbie bitter.
„Gute Idee.”
–––––
Eine Viertelstunde später saßen
die beiden in Holgers Golf II und fuhren zum Hotel ‚Seeadler’, wo Debbie eine
Verabredung mit Driver zum Frühstück arrangiert hatte.
„Das Tattoo scheint also
entschlüsselt”, stellte Holger nachdenklich fest. „Bleibt zu ergründen, was
Trébor uns mit seiner nervigen Verbeugung sagen wollte.”
„Wieso nervig?” Debbie konnte
Holgers Wahl des Adjektivs nicht ganz nachvollziehen.
„Weil ich nicht auf die Lösung
komme. Es nervt mich”, erwiderte er.
Debbie musste schmunzeln, doch im
Prinzip hatte Holger Recht. Die Frage, was Trébor ihnen mit seiner seltsamen
Verbeugung hatte mitteilen wollen, rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt.
Die Straße führte nicht wie der
schmale Fußweg unmittelbar durch die Dünen, sondern verlief in relativer Nähe
zum Zaun und passierte das Kongresszentrum, in dem Debbie den fürchterlichen
Tod Professor Meng Hongs hatte mit ansehen müssen.
Schon von Weitem sah Debbie, dass
erneut irgendetwas am Kongresszentrum passiert sein musste, denn zahllose
Kamerateams drängten sich direkt gegenüber dem Gebäude an den Zaun. Ihr erster
Gedanke war, dass ein weiterer Mord stattgefunden haben musste. Sie hatten für
die Nacht mit einem Mord gerechnet und – voilà – hier war die Medienmeute. Sie
brauchte keinen Abakus, um eins und eins zusammenzuzählen.
Doch seltsamerweise deutete außer
den Kamerateams nichts darauf hin. Der Parkplatz war nahezu verwaist, nichts
erinnerte an das Chaos, das zwei Tage zuvor hier geherrscht hatte.
Erst als sie das Kongresszentrum
direkt passierten, sah Debbie, was die Gier der Fernsehleute geweckt hatte. In
riesigen, blutroten Lettern stand auf der gläsernen Außenwand des Gebäudes geschrieben:
Stoppt die
Globalisierung, wenn ihr das Morden stoppen wollt.
Ein Zug von Bundeswehrsoldaten
war krampfhaft damit beschäftigt, das Graffiti zu entfernen – bislang offenbar
ohne durchschlagenden Erfolg.
Debbie blickte Holger an. „Was
soll das denn jetzt für einen Sinn machen?” fragte sie.
„Es macht überhaupt keinen Sinn”,
erwiderte Holger nachdenklich. „Nicht den geringsten.”
„Wir wissen, dass unser Mörder
religiös motiviert ist und wir gehen fest davon aus, dass er Virologe ist”,
fasste sie zusammen. „Wo passt da ein Globalisierungsgegner noch rein?”
„Er passt nicht rein.”
„Und was schließt du daraus?”
Holger dachte kurz nach. „Dass es
sich um einen Trittbrettfahrer handelt”, sagte er dann.
„Du glaubst also, ein
Globalisierungsgegner instrumentalisiert die Morde zu seinem eigenen Zweck”, sagte
Debbie und nickte. „Er behauptet einfach, er würde morden, um auf die
Ungerechtigkeit des Neoliberalismus aufmerksam zu machen.”
„Und weil
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