Virus (German Edition)
dass kein weiterer Mensch sein Leben lassen musste,
andererseits habe man gehofft, durch das dichte Netz von Polizeipatrouillen die
Tat vereiteln und den Mörder bei seinem Versuch festnehmen zu können.
Okay, das erklärte das Zusammentreffen
von Enttäuschung und Erleichterung in den Gesichtern der Anwesenden. Doch noch
immer verstand Heinze nicht, wozu dieses Meeting dann überhaupt einberufen
worden war. Dass es keine neuen Nachrichten gab, hätte man auch per Email
kommunizieren können.
Doch was Herforth dann von sich
gab, war durchaus geeignet, Heinze an seinem Verständnis der deutschen Sprache
zweifeln zu lassen. Er musste sich verhört haben, das konnte sie unmöglich
gesagt haben. Ungläubig blickte er in die Runde, doch die ernsten Gesichter der
übrigen Herren ließen nicht den Schluss zu, dass er sich geirrt hatte.
„Ich sehe keine Alternative mehr,
als den Gipfel abzubrechen”, hatte er Herforth sagen gehört. Er blickte in die
Runde. War sie nicht recht bei Trost? Bruncke schien nicht dieser Ansicht zu
sein. Scherzte sie? Von Glagows Mund verzog sich nicht ein Jota weit zu einem
Lachen. Hatte er sich verhört? Die Ernsthaftigkeit in Martens’ Blick sagte auf
unmissverständliche Art und Weise, dass dieser das Gleiche gehört hatte.
„Sie scherzen”, sagte Heinze nach
einer Weile dennoch, um sicher zu gehen.
„Ich scherze nie”, erwiderte
Herforth. „Jedenfalls nicht im Dienst. Wir haben es hier mit einem
Geistesgestörten zu tun, der die Medienwirksamkeit des Gipfels ausnutzt, um
eine Mordserie zu inszenieren. Nehmen wir ihm seine Bühne, so beenden wir das
Morden. Wir haben alles daran gesetzt, den Mörder zu fassen, doch es ist uns
nicht gelungen. Unsere Pflicht ist es, Menschenleben zu schützen. Und um dieser
Pflicht gerecht zu werden, sehe ich leider keine Alternative mehr, als den
Gipfel zu beenden, bevor ein weiterer Mord geschieht. Mit anderen Worten:
sofort.”
Heinze wurde plötzlich heiß unter
seinem Kragen. Das konnten sie nicht tun. Nicht mit seinem Gipfel, nicht mit
diesem perfekten Gipfel. Verstanden sie denn nicht, dass die Morde dem Gipfel
dienlich waren und nicht hinderlich? Er musste sie zur Vernunft bringen.
„Sehe ich es richtig, dass
bislang ausschließlich Epidemiologen und Virologen unter den Opfern waren?”
fragte er lauter und hektischer, als er es beabsichtigt hatte.
„Das ist korrekt”, erwiderte
Herforth mit einem leicht irritierten Gesichtsausdruck.
„Und sehe ich es richtig, dass
sich unter den am Gipfel teilnehmenden Wissenschaftlern keine Bundesbürger
befinden?” fragte er weiter, obwohl er die Antwort natürlich kannte.
„Auch das ist korrekt”,
antwortete erneut Herforth. „Ich sehe allerdings nicht, inwiefern…”
Heinze war nicht in der Laune,
sie ausreden zu lassen. Er führte hier die Diskussion. „Es sind also weder
Politiker, noch Zivilisten, noch Bundesbürger bedroht”, fuhr er ihr ins Wort.
Seine Stimme zitterte leicht und hatte weiter an Lautstärke zugenommen. „Und
dafür wollen sie einen Gipfel, der den Steuerzahler einhundertundzwanzig
Millionen Euro kosten wird, ergebnislos abbrechen?”
Er blickte in die Gesichter
seiner Zuhörer und glaubte leichte Entgeisterung auszumachen. Unter Umständen
wirkte er ein wenig zu involviert, zu echauffiert auf sie. Er musste sich
beruhigen, doch es fiel ihm nicht leicht. Immerhin ging es hier um seinen
Gipfel, seine große Show. Und diese Geisteskranken wollten sie einfach
abbrechen. Nicht mit ihm. Er würde das zu verhindern wissen, doch zunächst
musste er sich beruhigen.
In seiner Jugend und bis weit in
sein Studium hinein hatte Heinze Kung-Fu ausgeübt. Er hatte es zu großer
Perfektion gebracht und problemlos hätte er alle Anwesenden unschädlich machen
oder sogar mit bloßen Händen töten können. Doch wie alle asiatischen
Kampfsportarten war Kung-Fu weit mehr als nur Verteidigung und Angriff, es war
die Beherrschung des Körpers und des Geistes. Die im Zuge des Kampfsports
erlernte Selbstbeherrschung war ihm in seiner politischen Laufbahn schon häufig
dienlich gewesen.
Trotz der Ungeheuerlichkeit von
Herforths Anliegen gelang es ihm auch diesmal, seine Emotionen zu besiegen und
Ruhe und Rationalität auszustrahlen. Seine Argumente würden die gleichen
bleiben, doch sie würden weit mehr Wirkung erzielen, wenn sie im Mantel der
Vernunft daherkamen, als wenn er sie in Besessenheit kleidete.
„Es geht hier um Menschenleben,
Herr Heinze”, hörte er Bruncke sagen.
Ein
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