Virus (German Edition)
erleichtert war, ihren Freund nicht neben sich
zu sehen.
Sie schlüpfte in ihre Jeans, zog
sich ein Kapuzen-Sweatshirt über und kroch aus dem Iglo-Zelt. Es war noch früh
am Morgen, doch der tiefblaue Himmel deutete bereits an, dass es ein
wunderschöner Tag werden würde. Doras Augen hatten sich kaum an das gleißende
Licht der noch tief stehenden Sonne gewöhnt, als sie Passe auf das Zelt
zukommen sah. Er hatte ein Handtuch über die Schulter geworfen und seine Haare
waren nass. Offenbar kam er von den Waschräumen.
„Hi”, sagte er mit leichter
Verlegenheit auf dem Gesicht, als er sie erreichte, und senkte seinen Blick
sodann gen Boden. Dora sah seine Hände an. Das Blut, das noch vor einigen
Stunden an ihnen geklebt hatte, war verschwunden.
„Wo warst du letzte Nacht?” Sie
hatte keine Lust auf umständliche Einleitungen. Genauso gut konnte sie ihn
einfach fragen, was ihr auf der Seele brannte.
„Spazieren”, gab er vage zurück.
„Musste ein wenig Abstand gewinnen.”
„Spazieren?” fragte sie mit
unschuldigem Tonfall. „Und warum waren deine Hände dann blutverschmiert, als du
von deinem Spaziergang zurückgekommen bist?”
Passe antwortete nicht, sondern
starrte sie entgeistert an. Dora hatte plötzlich das Gefühl, ihren Freund, mit
dem sie anderthalb Jahre zusammen gewesen war, nicht mehr zu kennen. Was sagte
sein Blick? Was dachte er? Wieso antwortete er nicht? Sie war sich stets so
sicher gewesen, ihren Freund gut zu kennen, doch seine Augen hatten zu ihr zu
sprechen aufgehört. Hatte er etwas mit den Morden zu tun? Nur eines wusste sie
sicher: Sie hatte Angst vor ihm.
„Ich kann so nicht länger mit dir
zusammen sein, Passe”, sagte sie mit leiser Stimme.
„Was?” Entsetzen stand ihm ins
Gesicht geschrieben.
„Du hast Geheimnisse vor mir,
Passe”, fuhr sie fort. „Ich glaube einfach nicht, dass das eine Basis für eine
Beziehung sein kann. Wie soll ich dir vertrauen, wenn du mir nicht vertraust?”
Passe schien langsam aus seiner
Schockstarre zu erwachen, und sein Gesicht begann, eine wütende Färbung
anzunehmen.
„Wer hat denn hier Geheimnisse
vor wem?” rief er mit zitternder Stimme und lauter, als es Dora angesichts ihres
Standorts inmitten der Zelte lieb war. „Du bist doch diejenige, die mir nichts
anvertraut. Du grübelst den ganzen Tag, ohne mir von deinen Problemen zu
erzählen. Du stellst dich schlafend, wenn ich zurück ins Zelt komme. Du
zerstörst unsere Vertrauensbasis, Dora, du!”
Dora wusste nicht, was sie sagen
sollte. Natürlich hatte sie ein Geheimnis vor ihm. Doch dieses Geheimnis hatte
sie vor der ganzen Welt und es hatte keinerlei Bezug zu ihrer Beziehung mit
Passe.
„Hast du etwas mit den Morden zu
tun?” fragte sie ihn schließlich.
Ungläubig starrte Passe sie an. Seine
Lippen zitterten, doch er schien nicht fähig, etwas zu sagen. Es war, als hätte
jemand die Welt auf stumm geschaltet. Eine schreiende Stille umgab sie.
Dann schüttelte Passe den Kopf
und ging wortlos an Dora vorbei ins Zelt. Eine Antwort auf ihre Frage hatte sie
nicht erhalten. Das Kopfschütteln hatte sich nicht auf den Inhalt ihrer Frage
bezogen, sondern auf die Frage selbst. Es sollte seiner Fassungslosigkeit
Ausdruck verleihen, wie sie es wagen konnte, diese Frage überhaupt zu stellen.
Doch das konnte ebenso gut
gespielt sein. Was blieb, war das Blut an seinen Händen, das Dora in der Nacht
zuvor gesehen hatte.
74.
Es war kurz vor neun, als Debbie
und Holger im Frühstückssaal des mondänen ‚Seeadlers’ Devon Driver von der
Central Intelligence Agency gegenüber saßen. Irgendwie hatte Debbie das Gefühl,
es verdient zu haben, hier zu frühstücken, nachdem sie am Tag ihrer Ankunft den
Luxustempel fälschlicherweise für ihr Hotel gehalten hatte.
Die große Fensterfront des Saals
zeigte gen Osten und überblickte den Golfplatz. Auf diese Weise konnten die
Frühstücksgäste die Morgensonne genießen. Außerhalb befand sich eine großzügige
Terrasse, die allerdings um diese Jahreszeit noch nicht zum Frühstücken genutzt
werden konnte. Nachmittags hingegen öffnete sie bereits für Golfspieler und
solche, die Golfspielern gerne zusahen.
An diesem Donnerstagmorgen zeigte
der Himmel sein schönstes Gesicht und die Sonne half dem Kaffee, die
Lebensgeister in Debbie zu wecken.
Während sie ein überaus
reichhaltiges Frühstück bestehend aus Rührei, Speck, Bratkartoffeln, Käse,
Brötchen, Räucherlachs, Schinken, Müsli und ein wenig Obst genoss,
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