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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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die Öffentlichkeit
bislang von der religiösen Motivation des Täters keine Ahnung hat, beißt sie
mit großem Appetit in den Köder”, fügte Holger an. „Bedenke: Für die Medien ist
dies der erste Anhaltspunkt auf die Identität des Mörders.”
    „Und wenn es doch ein
Globalisierungsgegner ist?” fragte Debbie. Plötzlich erschien es ihr gar nicht
mehr so abwegig. Zu viele unerwartete Wendungen hatte der Fall bislang
genommen, als dass sie Theorien noch kategorisch und ohne eingängige Reflektion
ausschließen mochte. „Vielleicht ist es ein Globalisierungsgegner, der
gleichzeitig auch Christ ist. Und irgendeinen Beruf muss er schließlich auch
haben. Warum nicht Virologe?”
    „Klingt kompliziert”, wiegelte
Holger ab, doch plötzlich schoss Debbie eine völlig andere Idee durch den Kopf.
    „Wer sagt denn überhaupt, dass
der Mörder ein Christ ist?” rief sie. „Vielleicht stellt er nur die Apokalypse
nach, um zu zeigen, dass die globalisierte Welt auf ihr Ende zusteuert, wenn
man nicht dem Neoliberalismus abschwört.”
    Sie blickte Holger an und sah in
seinem Gesicht, dass er trotz krampfhaften Nachdenkens kein Argument fand, um
ihre Hypothese zu falsifizieren. Es war absolut möglich. Auch ein
Globalisierungsgegner konnte der Mörder sein.

72.
    Jo Somniak hatte die Nacht in
einer Einzelzelle in der Polizeidirektion Rostock verbracht, doch wirklich
gestört hatte er sich nicht daran. Immerhin war dies Teil seines Plans. Nur
Opfer wie dieses würden ihn zum Helden machen. Und nur Heldenstatus würde ihm
bei der Weiterführung seines Plans helfen. Denn er war noch nicht fertig, noch
lange nicht.
    Später am Tag würde er eine
Pressekonferenz geben. Er hatte eine Botschaft an die Welt zu richten und wenn
der Preis für diese Botschaft in einer Nacht in dieser Zelle bestand, dann war
er klein. Lächerlich klein sogar im Vergleich zum Ausmaß seiner Botschaft. Die
Welt würde aufhorchen. Schließlich war er der Held, der sich gegen die Unterminierung
der Pressefreiheit stellte, der nicht klein beigab, der seine persönliche
Freiheit im Kampf um die Freiheit aller opferte.
    Lange würde es nicht mehr dauern.
Er konnte nicht sicher wissen, was da draußen vor sich ging, aber er kannte die
Macht der Medien. Sehr bald schon würde ein Gericht sich ihrem Druck beugen und
im Eilverfahren das Verbot der Veröffentlichung von Bildern aus dem
Kongresszentrum für rechtswidrig erklären.
    Sein Rücken schmerzte von der
Nacht auf der Pritsche in seiner Zelle, doch das störte ihn in diesem Moment
herzlich wenig. Viel zu groß war die Vorfreude auf das, was kommen würde, viel
zu groß war seine Anspannung.
    Er hörte einen Schlüssel im
Schloss seiner Zelle. Es war soweit. Ein Beamter öffnete die schwere Metalltür,
erklärte ihm, er sei frei, und führte ihn durch den Zellentrakt zu einem
Tresen, an dem er seine persönlichen Gegenstände zurückerhielt.
    Anschließend bot der Beamte
Somniak an, durch die Hintertür das Gebäude zu verlassen, um der Medienmeute zu
entgehen, doch Somniak hatte nicht das geringste Bedürfnis, sie zu meiden. Ganz
im Gegenteil. Er hatte den Reportern etwas mitzuteilen.
    Die Anzahl der Journalisten vor
dem Gebäude übertraf sogar seine Vorstellungen. Er hatte mit einigen gerechnet,
doch dieses Meer von Menschen war überwältigend. Er hob die Arme, um zu zeigen,
dass sie nicht mit Handschellen gefesselt waren, um seine Freiheit zu
demonstrieren, und ohrenbetäubender Jubel brach los. Er hatte sich nicht
verkalkuliert.
    Er war ein Held.
    Jo Somniak wartete, bis der Jubel
abgeklungen war, und man ihm Gehör schenkte. Dann bot er an, um vier Uhr
nachmittags eine Pressekonferenz zu geben, wenn die Kollegen von den
Fernsehsendern bereit wären, etwas Diesbezügliches vorzubereiten. Er wusste,
dass sie nach seiner Story lechzten und keine Mühen scheuen würden, um ihm eine
große Bühne zu bauen. Die Bühne für seine Botschaft.
    Anschließend glitt er durch die
Menge wie ein Rockstar, wurde von unzähligen Händen berührt und auf die
Schultern geklopft, wurde bejubelt und gefeiert. Viele der Kollegen boten ihm
an, ihn in sein Hotel zu fahren, doch er lehnte ab und stieg stattdessen in ein
Taxi. Sie würden bis zur Pressekonferenz auf seine Botschaft warten müssen.

73.
    Irgendwann musste Dora doch
eingenickt sein, denn als sie erwachte, lag Passe nicht mehr neben ihr. Sie
spürte Erleichterung und fragte sich, was für ein Zeichen es bezüglich ihrer
Beziehung darstellte, wenn sie

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