Virus (German Edition)
übernachtet.”
Krampfhaft versuchte Herforth
sich an die exakten Worte der Amerikanerin in der letzten Nacht zu erinnern.
Sie war sich todsicher, dass Ashcroft gesagt hatte, sie sei in ihrem
Hotelzimmer. Andererseits wusste sie, wie schnelle, unbewusste Assoziationen
einem manchmal einen Streich spielen konnten. Möglicherweise hatte Ashcroft nur
Bett gesagt, und sie hatte das automatisch und unmittelbar mit ihrem
Hotelzimmer assoziiert. Durch die Unmittelbarkeit der Assoziation war sie davon
ausgegangen, Hotelzimmer gehört zu haben.
Möglich war es, doch noch immer
war Herforth überzeugt, dass die Amerikanerin wörtlich Hotelzimmer gesagt
hatte. Es war müßig, darüber nachzugrübeln, denn überprüfen ließ es sich nicht
mehr. Wenn sie in der Nacht nur nicht so müde gewesen wäre.
„Sie befinden sich also nicht in
Gefahr und nicht in der Gewalt des Killers?” fragte sie schließlich direkt und
ohne Umwege.
„Natürlich nicht.” Ashcroft klang
nahezu belustigt.
„Ich muss wissen, wo Sie sich
gerade aufhalten, damit wir Ihnen einen neuen Personenschützer an die Seite
stellen können.”
„Machen Sie sich keine Sorgen um
mich”, drang die Stimme der Amerikanerin aus dem Hörer. „Wir haben
herausgefunden, dass ich erst Opfer Nummer sechs sein werde. Im Moment ist also
alles im grünen Bereich. Ich melde mich wieder, wenn es eng wird.”
Herforth hatte tausend Fragen und
das Problem, sie nicht alle auf einmal stellen zu können. „Wieso Opfer Nummer
sechs? Woher wissen Sie das? Wo sind Sie? Was haben Sie noch herausgef…”
Sie brach ab. Ein langgezogener
Ton signalisierte ihr, dass Ashcroft aufgelegt hatte. Etwas war faul. Etwas war
ganz gewaltig faul. Das Verhalten der Virologin passte so gar nicht zu dem
Eindruck, den Herforth tags zuvor im Gespräch mit ihr gewonnen hatte. Am
liebsten hätte sie nach der Amerikanerin fahnden lassen, doch leider hatte sie
einen Mordfall aufzuklären und nicht ausreichend Personal, um Banalitäten oder
persönlichen Anliegen nachzugehen. Schließlich war sie nicht Wegmann.
Noch eine Weile starrte sie
entgeistert auf ihr Telefon. Dann schüttelte sie den Kopf, wie um die Gedanken
an Ashcroft hinaus zu zentrifugieren, leerte ihre Kaffeetasse und wandte sich
wieder ihren Kollegen zu. Es gab im Moment einfach Wichtigeres als eine
durchgedrehte Virologin.
76.
Hauptkommissar Wegmann lehnte an
dem Passat, den man ihm als Ersatz für seinen ausgebrannten Dienstwagen zur
Verfügung gestellt hatte, und blickte in das frische Grün, das ihn umgab. Er
befand sich an eben der Stelle, an der er sich schon am Vortag mit Driver
getroffen hatte.
Spät am Abend – um ein Haar zu
spät – hatte der CIA-Agent ihn erneut angerufen und ihm Hoffnung auf
Informationen gemacht. Man habe eine interessante Spur, die nur noch
verifiziert werden müsse. Die Spur betreffe nicht den Täter selbst, sollte
jedoch, wenn sie sich bestätige, Wegmann in eine äußerst günstige Situation
seiner neuen Vorgesetzten gegenüber versetzen können.
Sie hatten den alten Treffpunkt
und eine neue Uhrzeit ausgemacht, und so stand Wegmann nun hier und wartete auf
den Amerikaner.
Seine innere Anspannung hatte ihn
ein wenig zu früh herkommen lassen. Zudem hätte er sowieso nicht gewusst, was
er mit seiner Zeit anfangen sollte. In die Direktion hatte er vor dem Treffen
mit Driver nicht fahren wollen. Welchen Grund gab es, sich weitere
Erniedrigungen anzuhören, wenn er sich doch später möglicherweise in einer
weitaus vorteilhafteren Position befinden würde?
Viel hing für ihn von diesen
Informationen ab – immerhin hatte er sich am Vorabend mit Selbstmordgedanken
getragen. Eines wusste er sicher: Er würde sich nicht mehr von Herforth
herabwürdigen lassen. So oder so nicht. Er blickte auf die Uhr.
Kurz darauf hörte er den
mächtigen Motor von Drivers ML 500. Als der CIA-Mann zehn Minuten später wieder
abfuhr, fühlte Wegmann eine Zufriedenheit wie seit Langem nicht. Der Deal mit
der CIA hatte sich gelohnt.
Seine Zeit war gekommen.
Jetzt.
77.
Herbert Bruncke atmete tief
durch, als er sein Treffen mit dem Innenminister der Bundesrepublik Deutschland
verließ. Sie hatten sich in einem kleineren Seminarraum des ‚Seeadlers’
getroffen und unter vier Augen die Situation erörtert.
Natürlich war der Minister alles
andere als begeistert gewesen, den Gipfel abzubrechen, hatte sich den
Argumenten des BKA-Chefs aber nicht verschließen können. Immer wieder hatte er
die Blamage beweint, die
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