Virus (German Edition)
morden, um ihn dabei hoffentlich irgendwann festzunehmen.
Wie sie wahrscheinlich wissen, arbeiten wir zurzeit an verschiedenen
Strategien, um mögliche nächste Opfer zu antizipieren. Es ist also nicht
unwahrscheinlich, dass wir den Täter bei einem Mordversuch überraschen können.”
Noch immer schien Bruncke etwas
gedankenverloren, doch sein Blick klärte sich langsam. Schließlich stand er entschlossen
und mit neugewonnener Energie auf. Selbstbewusstsein und diese unbeschreibliche
Aura von Macht waren zurückgekehrt und hatten die Resignation verdrängt.
„Gute Arbeit, Herr Wegmann”,
sagte er mit fester Stimme. „Ich werde augenblicklich zum Innenminister gehen,
um ihn zu informieren. Und ich möchte, dass sie mich begleiten.”
Wegmann glaubte, seinen Ohren
nicht zu trauen. Wenn Worte nicht schon genug gewesen wären, so wäre diese
Geste perfekt geeignet gewesen, seine neugewonnene Stellung zu beschreiben.
Wollte Bruncke ihn an
seiner Seite wissen, wenn er mit dem Minister sprach, oder Herforth?
Seine Zeit war gekommen. Er hatte
gewonnen.
80.
Die CIA hatte den kompletten
Westflügel des Hotels ‚Seeadler’ okkupiert. Etwa achtzig Zimmer waren von
Agenten belegt, während die elf mehrräumigen Luxussuiten als Kommandozentrale
dienten. Vollgestopft mit Technik hätte ein ungeschultes Auge jede von ihnen ebenso
gut für den Führerstand eines Atom-U-Boots halten können. Ultraschnelle
Computer, ausgestattet mit hochmoderner Überwachungssoftware, fütterten
unzählige Monitore mit Bildern, Grafiken, Tabellen oder Zahlen. Die Fenster
waren komplett verdunkelt, um unerwünschte Zuschauer auszusperren, und so stellten
die flimmernden Bildschirme mit ihren wechselnden Anzeigen die
Hauptlichtquelle.
Das Beschützen des mächtigsten
Manns der Welt war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte –
besonders wenn die Geschichte so viel Anlass zu Paranoia lieferte wie die
amerikanische. Immerhin waren bis zu diesem Tag nicht weniger als vier
US-Präsidenten ermordet worden, während vier weitere Anschläge auf ihre Person
überlebt hatten – Gerald Ford sogar deren zwei.
Größtenteils war die Arbeit in der
Kommandozentrale Routine. Informationen der See- und Luftraumüberwachung wurden
ausgewertet, Bilder fest installierter oder von Agenten geführter Kameras wurden
analysiert, Satelliten ausgerichtet und Aufgaben koordiniert. Und so war das
Team, das Devon Driver mit seinem kleinen Spezialauftrag betraute, alles andere
als unglücklich darüber. Ein wenig Abwechslung konnte nie schaden, zumal
Ermittlungen die Mordserie betreffend durchaus Hoffnung auf Spannung gaben.
Nach einem kurzen Briefing
begaben sich die Agenten daran, nach verschwunden Wissenschaftlern zu suchen.
Zu diesem Zweck überprüften sie die Polizeidatenbanken der Länder, die 2003
SARS-Sekundärinfektionen verzeichnet hatten. Die Mühe, die betreffenden Länder
selber oder ihre jeweiligen Kriminalämter um Erlaubnis zu bitten, machten sie
sich hingegen nicht. Es hätte zu lange gedauert, und unter Umständen hätte man
eine solche Genehmigung nicht erhalten. Doch es war auch gar nicht nötig. Das
Know-how der Agenten und ihre technischen Möglichkeiten reichten völlig aus, um
sich auch so unbemerkt in den Datenbanken umzusehen.
Eine knappe Stunde später
verzeichnete man den ersten Treffer. Der vietnamesische Epidemiologe Professor
Tran Quoc Tuan, der für das National Institute for Hygiene and Epidemiology in Hanoi gearbeitet hatte, war vor sechs Wochen nicht von der Reise zu einem
Kongress für Mikrobiologie in Manchester zurückgekehrt. Seither wurde er
vermisst.
Sofort ordnete Driver eine
eingängige Untersuchung seines Verschwindens an. Anschließend wählte er
Ashcrofts Nummer.
–––––
Debbies Müdigkeit war
überwältigend, doch ihre Analysen waren zu wichtig, als dass sie sie hätte
ruhen lassen können. Sie musste einfach wissen, wie gefährlich der Virus
wirklich war. Mindestens eine ganze Kanne Kaffee hatte sie bereits getrunken –
eine halbe alleine, seit sie wieder im Institut für Virologie der Uni Rostock
eingetroffen war.
Bereits über eine Stunde lang
hatte sie ihre Untersuchung des Virus fortgeführt, doch ein Ergebnis war noch
nicht in Sicht. Nicht zuletzt waren es die etwas unbeholfenen provisorischen
Sicherheitsmaßnahmen zur Arbeit mit dem gefährlichen Erreger, die die
Angelegenheit verlangsamten. In einem BSL4 Labor hätte sie weitaus effektiver
arbeiten können, doch diese
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