Virus (German Edition)
er
durfte seine Triumphgefühle nicht zeigen.
„Ich schließe daraus”, fuhr er
fort, „dass der Mörder den Opfern den Virus injiziert haben muss.”
„Wieso würde er das tun? Wieso
würde jemand einer Person, die er sowieso umzubringen gedenkt, einen tödlichen
Erreger spritzen?”
„Das ist genau die Frage, die ich
mir ebenfalls gestellt habe”, erwiderte Wegmann. „Und die einzige mögliche
Antwort ist leider äußerst beängstigend. Der Mörder möchte uns mit dem Virus
eine Botschaft übermitteln. Oder um es präziser zu sagen: eine Drohung.”
„Sie meinen, diese ganze
Mordserie ist lediglich Mittel zum Zweck einer Erpressung?” Bruncke klang noch
nicht vollends überzeugt.
„Möglich.” Wegmann machte eine
abwägende Handbewegung. „Die eine Möglichkeit ist, dass der Mörder uns etwas
Zeit geben will, den Virus zu entdecken, um uns dann zu erpressen. Geld oder
Pandemie. Die andere, noch besorgniserregendere Option ist, dass der Mörder aus
Überzeugung handelt und die Epidemie in jedem Falle auszulösen gedenkt.
Immerhin scheint eine religiöse Motivation vorzuliegen. Vielleicht will der
Mörder seine nachgestellte biblische Apokalypse mit einer echten krönen, mit
einer, die der gesamten Menschheit zusetzt und nicht nur beispielhaften
Platzhaltern. Was es auch ist – wir müssen uns auf das Schlimmste gefasst
machen.”
Alarmiert blickte Bruncke ihn an.
Offenbar brauchte er ein paar Augenblicke, um die gesamte Tragweite von
Wegmanns Worten zu begreifen.
„Woher haben Sie Ihre Erkenntnisse,
Herr Wegmann? Warum hat Frau Herforth mich nicht informiert?” fragte er
schließlich.
„Ich würde sagen, das liegt
daran, dass ich meinen Job mache, während Frau Herforth anonymen Anrufern
hinterherjagt”, antwortete Wegmann cool. „Ich meine, wie verzweifelt muss man
sein? Immerhin wissen wir doch, dass der Mörder aus der religiösen und nicht
aus der politischen Ecke kommt.”
„Wissen wir das, Herr Wegmann?”
„Wir gehen davon aus, Herr
Bruncke.”
Bruncke nickte gedankenverloren.
Wegmann fragte sich, was es da noch zu überlegen gab. Er hatte unglaubliche
neue Erkenntnisse geliefert und dazu noch Herforth effektiv diskreditiert. Lob
und Anerkennung waren fällig. Für einen Moment beschlich Wegmann schreckliche
Angst, sein Plan könne fehlschlagen. Er hatte damit gerechnet, dass Bruncke
nach seiner Quelle fragen würde. Doch er hatte die Frage geschickt beantwortet
und gegen Herforth gelenkt. Schließlich hatte die Frage nicht gelautet, warum
er über Informationen verfügte, sondern warum Herforth nicht darüber verfügte. Was
gab es jetzt noch zu überlegen für Bruncke? Es galt, zu handeln.
„Bevor Sie mich in der Hotellobby
angetroffen haben, hatte ich eine Unterredung mit dem Innenminister”, sagte
Bruncke schließlich in einem nahezu resignierenden Tonfall. „Wissen Sie, zu
welchem Zweck, Herr Wegmann?”
„Nein”, gab Wegmann
wahrheitsgemäß zurück. Woher auch.
„Ich habe ihn gebeten, diesen
Gipfel abzubrechen, um dem Mörder seine Bühne zu entziehen. Wir waren uns
sicher, die Mordserie auf diese Weise stoppen zu können.”
Wegmann atmete erleichtert auf.
Das war es also, worüber Bruncke nachgedacht hatte. Er hatte sich nicht weiter
mit Wegmanns Informationsquelle beschäftigt, sondern mit dem Gipfelabbruch. Und
nun zog er ihn ins Vertrauen, erzählte ihm sogar von seiner Unterredung mit dem
Minister.
„Sie wissen, was Sie
diesbezüglich zu tun haben?” fragte er Bruncke mit einem wissenden Tonfall.
„Ich bin mir noch nicht ganz
sicher. Was ist ihre Meinung?”
Nun war es amtlich. Der höchste
Kriminalist des Landes bat ihn um Rat.
„Sie müssen augenblicklich mit
dem Innenminister sprechen und ihn aufhalten”, sagte Wegmann. „Der Gipfel darf
unter keinen Umständen abgebrochen werden.”
Bruncke nickte gedankenverloren.
Offenbar sprach Wegmann das aus, was der BKA-Chef dachte. Sie waren Brüder in
Gedanken. Herforth konnte einpacken.
„Wenn wir den Gipfel jetzt
abbrechen”, fuhr Wegmann fort, „stoppen wir zwar das Morden, doch somit
definitiv auch die Zugriffsmöglichkeiten auf den Killer. Wahrscheinlich würden
wir ihn auch verjagen, denn wieso sollte er sich weiter hier aufhalten, wenn es
nichts mehr für ihn zu tun gibt. In jedem Falle würden wir uns die Chance
nehmen, den Mann zu fassen, der über einen tödlichen Virus verfügt. So makaber
das klingen mag, Herr Bruncke, aber wir müssen dem Killer weiter die
Möglichkeit geben, zu
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