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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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sie damit verbracht,
herauszufinden, auf welche Art und Weise der mutierte Virus menschliche Zellen
penetrierte, wie er das Ausbleiben des Spike-Proteins kompensierte, und sie
hatte feststellen müssen, dass die neue Strategie – ebenfalls auf einem Protein
basierend – um Etliches effektiver war, als die des Ur-Virus.
    Diese Effektivität beim
Eindringen in menschliche Zellen würde vermutlich jeden Infizierten zu einem Supershedder
machen. Eine Eindämmung der Epidemie wäre dann kaum noch möglich, zumal schon
der Virus von 2003 äußerst resistent war und durchaus bis zu vierundzwanzig
Stunden außerhalb menschlicher Körper überleben konnte. Schnell würden lokale
Epidemien sich zu einer Pandemie vereinen. Wahrscheinlich würde die Menschheit
überleben, wie sie auch die Spanische Grippe Ende des zweiten Jahrzehnts des
letzten Jahrhunderts überlebt hatte. Doch damals bereits, in einer noch wenig
globalisierten Welt, hatte die Pandemie nahezu fünfzig Millionen Todesopfer
gefordert.
    Die Zahl der Opfer, die der
mutierte Coronavirus unter Debbies Mikroskop fordern würde, wäre ungleich
höher. Im vierzehnten Jahrhundert hatte die Pest etwa ein Drittel der
europäischen Bevölkerung das Leben gekostet. Diese Zahl hielt Debbie für
weitaus realistischer – nur dass sie sich diesmal nicht auf Europa beschränken
würde.
    Mit einer Mischung aus Übelkeit
und Resignation trat sie nach draußen an die frische Luft. Die strahlende Sonne
und der immer noch kühle Ostseewind weckten ihre Lebensgeister jedoch auf ein
Neues und schnell schlug ihre Resignation in zornigen Tatendrang um. Sie würden
den Mörder finden und mit ihm den Virus. Sie würden nicht zulassen, dass ein
Drittel der Menschheit ausgelöscht wurde.
    Hier im Institut gab es für sie
nichts mehr zu tun. Weder würde sie auf die Schnelle einen Impfstoff entwickeln
können, noch würde man diesen Impfstoff rechtzeitig zum Freisetzen des Virus in
ausreichender Menge produzieren können. Was ihr hierzu fehlte, waren nicht ein
paar Stunden oder Tage – es waren Jahre, die so ein Projekt in Anspruch nahm. Genauso
gut konnte sie zurück nach Petersdamm fahren und versuchen, ihre Sachkenntnis
den Ermittlungen zur Verfügung zu stellen.

92.
    Milla Herforth hatte beschlossen,
sich unter den radikalen Autonomen umzuhören, da dies die Gruppe war, der ihr
Hauptverdächtiger zuzuordnen war. Von der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern
hatte sie erfahren, dass sich ein Großteil von ihnen in der Kneipe ‚Dorfkrug’
im Ortskern von Petersdamm aufhielt, und so war sie dorthin aufgebrochen.
    Sie parkte ihr Dienstfahrzeug in
einer Seitenstraße, um es vor dem Schicksal zu bewahren, dass Wegmanns Wagen
ereilt hatte, und ging zu Fuß zum Marktplatz. Ein einziger Blick genügte ihr,
um den ‚Dorfkrug’ zu identifizierten. Eine ganze Traube an
Globalisierungsgegnern hatte sich vor ihm versammelt, samt und sonders guter
Laune.
    Sie begann, sich unter den
Autonomen umzuhören – stets mit der Einleitung, sie sei vom BKA, und nicht von
der Landespolizei, und sie ermittele in der Mordsache und nicht wegen der Ausschreitungen.
Doch dafür wurde sie nur umso mehr ausgelacht.
    „Hier wirst du keinen finden, der
dir was über den Mörder erzählt”, sagte ein angetrunkener Linker mit
rotgefärbten Haaren. „Egal ob einer was weiß oder nicht.”
    „Wieso nicht? Immerhin geht es um
Mord”, erwiderte Herforth.
    „Mann, der Mörder ist ein Held!”
rief der Autonome. „Er ist unser Held. Dies hier ist die offizielle Kneipe der
Gipfelmorde. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass jemand seinen Helden an euch
Wichser ausliefert.”
    Angewidert wandte Herforth sich
ab und bahnte sich einen Weg durch die Menge zur Theke. Die offizielle Kneipe
der Gipfelmorde. Das bedeutete also, dass es jemanden gab, der von den Morden
profitierte, der sie sich überaus schnell zu Nutze gemacht hatte. Grund genug,
sich mal kurz mit ihm zu unterhalten.
    Leider stellte sich die Befragung
des Wirts als nahezu ebenso fruchtlos wie die Unterhaltung mit dem Rothaarigen
heraus. Er war kurz angebunden, verwies auf seine vielen Gäste, um die er sich
zu kümmern habe, gab zu, von den Morden zu profitieren, stritt aber ab, mit diesen
zu tun zu haben. Dann hob er ein Tablett beladen mit vollen Pilsgläsern auf
seine Schulter und bahnte sich einen Weg zu den Tischen am Fenster.
    Hier würde Herforth heute kein
Glück haben. Mehr aus Routine als in der wirklichen Hoffnung, etwas zu
entdecken, tat sie,

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