Virus (German Edition)
gegeben und die Polizei auf Hausmann aufmerksam
gemacht. Das erklärte natürlich ihre Stimmung. Es musste schwer sein, den eigenen
Freund des Mordes zu verdächtigen, und noch schwerer, ihn sogar zu belasten.
„Sie haben uns den anonymen
Hinweis gegeben?” fragte sie. Erneut nickte Dora kaum merklich.
„Vielen Dank dafür, Frau Mazoni.
Weshalb haben Sie Ihren Freund – Entschuldigung, Ex-Freund – verdächtigt?”
„Wen hat er letzte Nacht
umgebracht?” fragte Dora tonlos, ohne zu antworten.
„Letzte Nacht hat es keinen
weiteren Mord gegeben, Frau Mazoni. Bislang gab es nur drei Opfer.”
Dora wurde bleich. „Kein Mord?”
„Nein, kein Mord.”
„Woher kam dann das Blut an
seinen Händen?”
„Was für Blut?” Herforth konnte
Dora nicht folgen.
„Als Passe letzte Nacht zurück
ins Zelt kam, waren seine Hände blutverschmiert”, erwiderte Dora mit zitternder
Stimme. Sie schien einen erbitterten inneren Kampf zu führen.
„Könnte es sich dabei auch um
Farbe gehandelt haben? Wir wissen, dass Herr Hausmann letzte Nacht ein Graffiti
an das Kongresszentrum geschmiert hat.”
Entgeistert starrte Dora sie an.
Eine ganze Weile sagte keine der beiden etwas. Dora schien in tiefen Gedanken
verfangen, und Herforth hatte das Gefühl, dass sie zu drängen kontraproduktiv
wäre.
„Ich glaube, ich habe einen
Fehler gemacht”, flüsterte die junge Italienerin schließlich mit gebrochener
Stimme.
Herforth legte ihre rechte Hand
auf Doras linke und drückte sanft und tröstend zu. „Sie haben alles richtig
gemacht, Frau Mazoni. Herr Hausmann hat alle drei Morde gestanden.”
„Was?” Dora blickte sie nun
direkt an. „Aber das kann gar nicht sein. Wir waren während aller Morde
zusammen.”
Herforth stutzte. War damit
Hausmanns falsches Geständnis aufgeflogen?
„Wo genau befanden Sie sich
während des ersten Mordes, vorgestern gegen fünf Uhr nachmittags?” fragte sie.
„Wir haben draußen am Zaun vor
dem Kongresszentrum demonstriert. Die ganze Gruppe. Es war ein großer Protest”,
erwiderte Dora.
„Und in dieser Gruppe waren Sie
die ganze Zeit an Hausmanns Seite? Unmöglich, dass er sich mal für eine Viertelstunde
entfernt hat?”
Dora blickte Herforth an, während
sie tief zu grübeln schien. Schließlich senkte sie anstelle einer Antwort den
Kopf.
„Und in der Nacht von vorgestern
zu gestern, als der zweite Mord verübt wurde”, fuhr Herforth fort, „wo waren
Sie da?”
„Im Zelt. Wir haben geschlafen.”
„Können Sie mit absoluter
Sicherheit ausschließen, dass Hausmann irgendwann im Laufe der Nacht das Zelt
verlassen hat?”
Erneut antwortete Dora mit einem
resignierten Senken ihres Kopfes. Doch dann hob sie ihn ruckartig wieder, und
blickte Herforth an.
„Aber während des dritten Mordes
war Passe bei mir”, sagte sie, Hoffnung in ihrem Tonfall und in ihren Augen.
„Wir waren gemeinsam im ‚Dorfkrug’. Er war die ganze Zeit über bei mir.”
„Bleibt die Theorie mit dem
Komplizen”, sagte Herforth in Gedanken fast mehr zu sich selbst als zu Dora.
„Was?”
„Ich hatte bereits vorher mit dem
Gedanken gespielt, Herr Hausmann könne vielleicht einen Komplizen haben”,
erklärte Herforth. „Wissen Sie zufällig, ob er regelmäßigen Kontakt mit anderen
Autonomen pflegte?”
„Nicht, dass ich wüsste”,
erwiderte Dora.
„Vielleicht im Internet? Könnte
Herr Hausmann vielleicht im Internet jemanden kennengelernt haben? Die
Anonymität des Internets wird häufig von Kriminellen oder Psychopathen genutzt,
um sich…”
„Passe ist kein Psychopath!” Dora
sprang auf. Herforth biss sich auf die Lippe, doch es war zu spät.
„Er ist nicht ihr Mörder”, sagte
die junge Linke dann bestimmt. „Sie müssen ihn freilassen.”
„Was macht Sie da so sicher?”
„Ich spüre es”, sagte Dora kaum
hörbar. „Ich spüre es.”
„Sie wollen nicht für das
verantwortlich sein, was jetzt mit Herrn Hausmann passiert, habe ich Recht?”
Resigniert ließ sich Dora in
ihren Stuhl zurückfallen.
„Sie haben Angst, ein Leben zu
zerstören.”
Dora senkte ihren Blick wieder, doch
eine Antwort gab sie nicht. Sie schien überhaupt nicht mehr an einer
Fortführung der Unterhaltung interessiert zu sein. Hatte Herforth in ihrer
Absicht, Dora das Irrationale ihres Handelns vor Augen zu führen, vielleicht
einen wunden Punkt erwischt?
Fünf Minuten Schweigens folgten.
Schließlich erhob sich Herforth, legte eine Visitenkarte vor Dora auf den Tisch,
bat sie, sie
Weitere Kostenlose Bücher