Virus (German Edition)
erwidern hatte.
„Parther, Meder, Elamiter,
Mesopotamier, Judäer, Kappadozier”, begann Holger die Völker aufzuzählen, die
sich durch das Pfingstwunder plötzlich verständigen konnten. Er fühlte, dass es
nur noch eines winzigen Anstoßes bedurfte, um Somniak aus der Reserve zu
locken. „Ponter, Asiaten, Phrygier, Pamphylier, Ägypter, Kyrener, Römer, Juden,
Kreter…”
Die Araber wären das letzte Volk
gewesen, das in der Apostelgeschichte im Zuge des Pfingstwunders noch Erwähnung
fand, doch dazu, auch sie aufzuzählen, kam Holger nicht mehr.
„Er hat seine Meinung geändert!”
brüllte Somniak mit plötzlich hochrotem Kopf und sprang erneut von seinem Stuhl
auf, so dass dieser gegen die rückwärtige Wand schlug. Holgers Provokation
hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.
Eine Sekunde später hatte der
Wachkleiderschrank ihm ein zweites Mal die Arme zwischen die Schulterblätter gedreht
und drückte sein Gesicht mit dem Ellenbogen auf den Holztisch, während er mit seiner
freien Hand den Stuhl wieder aufrichtete. Er blickte mit grimmigem Blick zu
Herforth hinüber, verkniff sich diesmal aber einen Kommentar. Stattdessen
kehrte er wortlos auf seinen Posten an der Tür zurück, nachdem er den Mörder so
brutal wie möglich in seine Sitzposition auf dem Stuhl zurückbefördert hatte.
„Wer hat seine Meinung geändert?”
fragte Holger mit ruhiger Stimme. Er hatte erreicht, wonach er gestrebt hatte. Somniak
hatte sich selbst und seiner zunächst proklamierten Bibelauslegung
widersprochen.
„Gott, der Herr, hat seine
Meinung geändert.” Die Stimme des schmächtigen Mörders hatte zu ihrer ruhigen
Monotonie zurückgefunden und sein Blick zu seiner Ausdruckslosigkeit. Holger
konnte nicht anders, als eine gewisse Verwunderung darüber zu empfinden, wie
schnell der Mörder sich zu beruhigen imstande war. „Er konnte dem Treiben der
Menschen nicht mehr länger zusehen und beschloss, wieder Recht an die Stelle
von Gnade zu stellen.”
„Sagten Sie nicht soeben, Gott
sei nie gnädig gewesen, sondern habe stets nur die Demonstration seiner Macht
im Sinn gehabt?” führte Holger Somniak seinen Widerspruch vor Augen.
„Ich wünschte es wäre so gewesen.
Ich habe ihm stets gesagt, seine Gnade finde kein Entgegenkommen, sondern werde
nur ausgenutzt. Endlich hat er mich erhört.”
„Der Herr hat also einfach so
mir-nichts-dir-nichts seine Meinung geändert?”
„Warum nicht?” antwortete Somniak
mit einer Gegenfrage. „Er hat es doch vor zweitausend Jahren bereits einmal
getan.”
„Damals allerdings schickte er
seinen Sohn auf die Erde, um seinen Sinneswandel zu verkünden”, konterte
Holger.
„Und diesmal schickte er mich auf
die Erde, um ebendies zu tun.”
„Sie glauben, dass dies Ihre
Bestimmung auf Erden ist?”
Was für ein Psychopath!
„Nein, ich weiß , dass dies
meine Mission ist”, erwiderte Somniak. „Die Offenbarung, die Er Johannes
schenkte, war Gottes erste Warnung an die Menschheit. Jetzt hat er mich
geschickt, diese Warnung zu wiederholen. Wissen Sie, welches die erste Stadt
auf Erden war?”
„Der Bibel zufolge war es Henoch.”
„Und wissen Sie auch wer Henoch
gründete?”
„Kain”, erwiderte Holger. Er
wusste nicht, worauf Somniak hinauswollte, hielt es aber für sinnvoll, weiter
mitzuspielen.
„Kain, ja. Ein Mörder. Die Idee,
in Städten zusammen zu leben, stammt von einem Mörder. Sie kann also nichts
Gutes sein. Städte sind auf blutdurchtränktem Boden erbaut. Und nun will die
Menschheit sich sogar zu einer einzigen riesigen, weltweiten Stadt
zusammenschließen. Ist es nicht offensichtlich, dass Gott handeln musste ?”
„Aber sind Sie nicht selbst ein
Mörder, Herr Somniak?”
„Ich habe getötet, ja. Aber im
Gegensatz zu Kain handelte ich im Auftrag des Herrn.”
Holger warf einen kurzen, aber
vielsagenden Blick zu Herforth hinüber. Soeben hatte Somniak zum ersten Mal
direkt gestanden, gemordet zu haben.
„Mich würde interessieren”,
wandte er seinen Blick wieder Somniak zu, „auf welche Art und Weise Gott Sie
geschickt hat. Ist er Ihnen im Traum erschienen oder haben Sie seine Stimme
gehört oder…?”
„Er trat zu mir, nannte mir
meinen Auftrag, und sandte mich zur Erde.”
„Er sandte Sie zur Erde?” Holger
legte seine Stirn zweifelnd in Falten. „Sie glauben also, Sie seien ein…”
„Ein Engel”, vollendete Somniak
den Satz für Holger. „Ja, ich bin ein Engel vom Tempel des Herrn.”
„Es ist mir eine Ehre”,
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