Virus (German Edition)
schwer
fiel, weil sowohl die Spurensicherer als auch die Ermittler sämtlich vom BKA
stammten und sich weigerten, seinen Befehlen Folge zu leisten. Insgesamt gelang
es ihm mit beeindruckender Effizienz, die Untersuchungen zu behindern und zum
allgemeinen Durcheinander beizutragen.
Zu dieser Zeit hatte Tanja Franke
ihren ersten kurzen Bericht über die Geschehnisse des Nachmittags bereits
gesendet, während immer mehr Medienvertreter aus aller Welt versuchten, zum
Marktplatz vorzudringen. Hundertschaften der mecklenburgischen Landespolizei waren
notwendig, um das wie ein Tsunami auf den Ortskern zurollende Reporterheer zu
stoppen.
Andere Landesbeamte waren damit
beschäftigt, die aus ihren Häusern drängenden, sensationsgierigen Anwohner
zurückzuhalten. Allenthalben hörte man Geschrei, Klagen über die Polizeiwillkür
und Vergleiche mit dem dunkelsten Abschnitt deutscher Geschichte. Ein
allgemeines Ausgehverbot wurde für die Anwohner des Dorfkerns verhängt und über
Megafone kommuniziert.
Über allem schwebte nach wie vor
ein beißender Gestank von Verwesung, Exkrementen und Erbrochenem.
103.
Passe Hausmann lag in seiner
Zelle auf der metallenen Pritsche, starrte an die Decke und reflektierte über
das Leben. Sein scheiß Leben. Alles war im Arsch. Wegen eines Hirngespinsts und
der Hoffnung auf kurzen Ruhm hatte er sich selbst schwer belastet, Dora wollte
nichts mehr mit ihm zu tun haben, seine Rippen schmerzten von den
Ausschreitungen der letzten Tage und den Schwarzen Block gab es offenbar nicht.
Voll von Hoffnung war er vor drei
Tagen angereist und nun stand er vor einem Scherbenhaufen, den er sein Leben
nannte. Ob er unter den Globalisierungsgegnern schon ein Held war? Diese
Möglichkeit bestand nur, wenn die Polizei ihn bereits offiziell der Presse als
Mörder präsentiert hatte. Doch diese Kuh vom BKA schien an seiner Geschichte
gezweifelt zu haben. Wieso? Sie brauchten einen Mörder und hier war er. Was gab
es da noch zu fragen?
Aber wollte er überhaupt noch ein
Held sein? Hatte dieser ganze Antiglobalisierungsscheiß ihn nicht genau dahin
gebracht, wo er jetzt war? Interessierte ihn Politik wirklich oder war er nur
ein Opfer linker Propaganda geworden? Immerhin hatte er, bevor er Dora
kennengelernt hatte, nie das geringste Interesse an Politik gezeigt.
Dora. Mit seiner krankhaften,
halbstarken Radikalität hatte er sie verloren. Würde er sie zurückgewinnen
können, wenn er die Selbige ablegte? Schwer zu sagen, unter Umständen hatte er
irreparablen Schaden angerichtet. Aber wie hatte sie ihn für den Mörder halten
können? Damit hatte sie seine Trotzreaktion doch erst ausgelöst. Eine dumme
Trotzreaktion.
Plötzlich wollte er gar kein Held
für die Globalisierungsgegner mehr sein. Und besonders wollte er nicht der
Presse als Serienkiller präsentiert werden. Was würden seine Eltern sagen?
Seine Oma, die er immer so geliebt hatte, würde wahrscheinlich an einem
Herzinfarkt sterben. Nein, er wollte kein Held mehr sein. Er wollte einfach nur
zu Dora zurück.
Was, wenn er seine Aussagen
einfach widerrief? Würden sie ihm glauben? Natürlich hatte er das Graffiti
gesprüht, doch dafür würden sie ihn nicht einsperren. Vielleicht eine
Bewährungsstrafe, wahrscheinlich eher gemeinnützige Dienste oder etwas
Ähnliches. Immerhin hatte er Alibis für alle Morde. Würde Dora seine Alibis
bestätigen? Oder hatte ihre Wut auf ihn Ausmaße erreicht, die es ihr verboten,
ihm zu helfen?
Dora. Dora. Dora.
In dem Moment klackte ein
Schlüssel im Schloss der schweren Metalltür, die zwischen ihm und der Freiheit
stand und ein untersetzter Polizeibeamter trat ein.
„Kommen Sie, Herr Hausmann”,
sagte der Mann. „Sie sind frei.”
„Was?” Passe sprang wie von einer
Schnur gezogen von seiner Pritsche auf.
„Wir haben den wahren Mörder
geschnappt. Zudem hat Ihre Freundin Ihnen ein Alibi für den dritten Mord
gegeben.”
Seine Freundin? Hatte Dora sich
der Polizei gegenüber als seine Freundin vorgestellt? Liebte sie ihn noch?
Wieso nur für den dritten Mord?
„Wieso nur für den dritten Mord?”
„Das ist ein glücklicher Zufall
für Sie”, erklärte der Polizist. „Für die ersten beiden Morde konnte Ihre
Freundin Ihnen kein sicheres Alibi geben. Aber das ist auch nicht wichtig. Der
Mörder, den wir gefasst haben, muss einen Komplizen haben, und dieser Komplize
muss mindestens den dritten Mord verübt haben. Da kommen Sie nicht in Frage.
Was ist nun – wollen Sie gehen oder nicht?”
Noch
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