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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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erwiderte
Holger, wobei er nur bedingt damit Erfolg hatte, den in ihm hochkochenden
Sarkasmus zu unterdrücken. „Auf der anderen Seite wirft es neue Fragen auf. Zum
Beispiel die, warum Sie hier mit uns in diesem engen, fensterlosen, biederen
Raum sitzen, anstatt einfach zurück zum Himmel zu… wie sagt man? ... zu gehen? ...
zu fliegen…?”
    „Zunächst werden die fünfte und
die sechste Posaune ertönen und Tod bringen”, erwiderte Somniak, wobei seine
Stimme nicht die geringste Wirkung auf Holgers Sarkasmus zeigte. „Wenn die
siebte Posaune ertönt, werde ich emporfahren zum Tempel des Herrn, um ihm zu
huldigen.”
    „Emporfahren, das war’s.” Holger
schnippte mit dem Finger. „Eine weitere Frage, die Ihr unerwartetes Outing als
Engel aufwirft, ist natürlich die, warum Sie so viel Aufwand betreiben mussten,
wenn Sie ein Engel sind. Warum die falschen Identitäten? Warum die jahrelange
Vorbereitung? Hätten Sie als Engel nicht einfach ein Wunder organisieren können
oder Ähnliches?”
    „Auch meine Macht ist begrenzt
auf Erden. Ich bin kein Seraph oder Cherub, sondern lediglich ein Virtute.”
    „Und deshalb brauchten Sie auch
einen höchst menschlichen Komplizen, nehme ich an? Weil Sie mit Ihren
begrenzten Virtutenkräften die Morde nicht alleine ausführen konnten. Richtig?”
    „Er ist nur ein gottloser
Wanderer, der ebenfalls den Tod verdient. Ich habe ihn benutzt”, erwiderte
Somniak ausdruckslos.
    „Okay, das macht Sinn”, nickte
Holger. „An diesen Punkt können wir ein Häkchen machen. Dann bleibt für den
Moment fast nur noch eine Frage. Erklären Sie mir doch bitte noch schnell, wozu
Sie die Opfer mit dem mutierten SARS-Virus infiziert haben. Als Engel ist es
wohl kaum ihr Ziel, die Menschheit zu erpressen?”
    Holger blickte Somniak direkt in
die Augen und für einen Moment glaubte er, ein Zucken, ein Blitzen erkannt zu
haben. Auch die Gesichtszüge des Mörders schienen leicht versteinert. Eine
Antwort hingegen blieb er schuldig. Holger fixierte ihn lange und ausgiebig.
Die Ruhe war aus Somniaks Habitus gewichen. Was hatte das zu bedeuten? Wusste
er vielleicht gar nichts von dem Virus? Er wirkte ein wenig, als habe Holger
ihm gerade eine schlechte Nachricht überbracht. Hatten die beiden Killer sich
womöglich gegenseitig benutzt? Hatte der zweite Killer die Mordserie ohne
Somniaks Wissen zu einer eigenmächtigen Erpressung missbraucht, während
Letzterer glaubte, seinen Komplizen geschickt zu manipulieren und für die
skrupellose Ausführung der Morde auszunutzen, zu der er selbst nicht fähig war?
    „Wer ist Ihr Komplize, Herr
Somniak?” fragte Holger schließlich direkt.
    Es dauerte eine Weile, bis der
Killer seine Starre überwunden hatte. „Ich habe es Ihnen bereits mitgeteilt und
ich werde mich nicht wiederholen”, sagte er schließlich. „Sobald Sie lernen,
die Zeichen Gottes zu deuten, werden Sie Ihre Antwort erhalten.”

101.
    Zwei Hundertschaften der
Mecklenburgischen Landespolizei geleiteten die Globalisierungsgegner aus dem
Dorfkern hinaus zurück zu ihrem Zeltplatz. Eine seltsame Stimmung irgendwo
zwischen Schock und Jubel hatte sich unter ihnen breitgemacht. Sie schienen die
Schrecklichkeit dessen, was sie soeben erlebt hatten, durch lautstarkes Feiern
ihres Helden, des Mörders, verdrängen zu wollen.
    Dora hatte selten etwas
Abstoßenderes erlebt. Da mordete jemand auf grausamste Art und Weise und wurde
dafür sogar heroifiziert. Wie verkommen konnte die Menschheit noch werden?
    Einzelne Autonome katalysierten
ihr Adrenalin in Provokationen gegen die Polizisten, und hier und dort kam es
zu kleineren Handgemengen, doch zu größeren Ausschreitungen schien der Antrieb
nach dem eben Erlebten zu fehlen. Dora fand Mark.
    „Keine Lust auf Ausschreitungen?”
fragte sie ihn mit leicht provokativem Ton. Mark schüttelte ernüchtert den
Kopf. Noch immer, wie schon bei ihrem Gespräch in der ‚Kleinen Taverne’, schien
er in Gedanken verfangen, die weit weg von hier wurzelten.
    „Siehst du. Man hat immer eine
Wahl”, sagte Dora leise.
    „Was?” Mark drehte überrascht den
Kopf zu ihr.
    „Als wir uns im Biergarten
unterhielten, sagtest du, du habest keine Wahl”, erklärte Dora. „Ich habe
Neuigkeiten für dich: Man hat immer eine Wahl.”
    Mark nickte und ging dann stumm
weiter.
    „Hey, Arschgesicht!” Dora blickte
überrascht nach links, wo einer der Polizisten, die den Tross begleiteten,
herausfordernde Gesten in Marks Richtung warf. Mark sah kurz zu ihm

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