Virus (German Edition)
Verdacht habe sich nicht bestätigt. Trotzdem versuchten Ärzte der
WHO das betreffende Krankenhaus aufzusuchen. Man ließ sie nicht hinein. Ganz im
Gegenteil wurden sie sogar kurz darauf des Landes verwiesen.”
Debbie warf Holger einen
vielsagenden Blick zu. Das Verhalten der nigerianischen Behörden war zumindest
mehr als dubios.
„Also habe ich ein wenig nach
möglichen Motiven geforscht”, fuhr der Agent fort. „Es gab zu dieser Zeit
Unruhen wegen der erst kurz zuvor durchgeführten Präsidentschaftswahlen. Einige
Oppositionelle warfen der Regierung Wahlbetrug vor.”
„Mit anderen Worten, es passt
alles zusammen”, warf Driver ein.
Debbie nickte. „Die Regierung war
mit Sicherheit daran interessiert, dass die Vorwürfe international nicht allzu viel
Gehör finden. Eine SARS-Infektionskette hätte viel zu viel Aufmerksamkeit auf
das Land gelenkt. Zudem sind bei den Aufständen mit Sicherheit viele Menschen
ums Leben gekommen. Es kann also kaum schwer gefallen sein, SARS-Tote als Opfer
der Unruhen zu deklarieren.”
„Genau das habe ich mir auch
überlegt”, klinkte sich der Agent wieder ein, „und dementsprechend habe ich die
Verwaltungssysteme der entsprechenden Region durchsucht. Es handelt sich um
eine Gegend etwas südlich der Stadt Jos im Bundesstaat Plateau im
nigerianischen Hochland. Dort gab es zu der fraglichen Zeit in der Tat
auffällig viele Todesfälle. Offiziell wurden sie als Opfer der Unruhen
ausgegeben. Doch hier kommt der Haken: Die Jos-Region blieb von Ausschreitungen
nahezu verschont. Diese beschränkten sich auf die Hauptstadt Abuja und die
großen Millionenstädte wie Lagos, Kano oder Ibadan.”
Einen kurzen Moment herrschte
Stille. Debbie brauchte einen Augenblick, um sicher gehen zu können, dass die
Implikationen, auf die sie schloss, keinen Irrtum zuließen. Nein, es bestand
kein Zweifel. In Nigeria hatte es 2003 SARS-Sekundärinfektionen gegeben. Mit
einem Satz war sie zurück am Konferenztisch, um die Liste der am Gipfel
teilnehmenden Forscher durchzusehen.
„Professor Okonkwo Makinwa”, rief
sie aus. „Makinwa ist das nächste Opfer.”
„Lustiger Zufall”, rief der Agent
zurück, der sie mit den Informationen über Nigeria versorgt hatte. „Das ist
genau der Arzt, der damals die Verdachtsfälle gemeldet hat, bevor sie von der
Regierung zurückgezogen wurden.”
Debbie sah, wie Driver nach
seinem Handy griff und einen Anruf tätigte. Er würde das Nötige veranlassen.
110.
Die blonde Kollegin aus
Wiesbaden, die Herforth damit beauftragt hatte, Wegmann zu beschatten, betrat
aufgeregt und ohne anzuklopfen das Büro ihrer Chefin.
„Wegmann hat was vor”, platzte es
aus ihr heraus.
„Kannst du etwas präziser werden?”
fragte Herforth, sogleich alarmiert.
„Er ist in großer Hektik
aufgebrochen”, erwiderte die Kollegin, noch leicht außer Atem. „Aber das ist
nicht alles. Er hat vor allem den Großteil seiner Kollegen mitgenommen. Sie
sind in mehrere Einsatzwagen gestiegen und mit Blaulicht los.”
Herforth war sofort auf den
Beinen. „Das kann nur bedeuten, dass er von Driver erfahren hat, wer das
nächste Opfer sein wird. Aber diesen Erfolg kann er sich an die Backe schmieren”,
sagte sie grimmig. „Ich fahr ihm hinterher.”
„Soll ich mitkommen?” fragte die
junge Kollegin. Sie verrichtete ihre Ermittlungen hauptsächlich vom
Schreibtisch aus, und Herforth wusste, wie sehr sie sich nach einem Einsatz
sehnte.
„Tut mir leid, Sarah”, sagte sie
mit ehrlichem Mitleid. „Ich brauche dich leider hier am Computer.”
„Okay”, erwiderte Sarah mit
leiser Enttäuschung in der Stimme. „Was soll ich tun?”
„Du ortest Wegmanns Wagen und hältst
mich ständig auf dem Laufenden, wo er hinfährt”, trug Herforth ihr auf. „Dann
trommelst du so viele von unseren Leuten zusammen wie möglich und
schickst sie mir hinterher. Und anschließend rufst du die Feuerwehr und den
Notarzt an und lässt auch sie dort antanzen.”
„Die Feuerwehr?”
„Die fünfte Apokalyptische
Posaune”, erklärte Herforth. „Wenn Herr Petersen Recht behält, werden wir es
mit Heuschrecken zu tun haben. Mit vielen Heuschrecken.”
111.
Okonkwo Makinwa hatte Angst.
Große Angst. Er wusste, dass er den Tod verdient hatte, und doch fürchtete er
ihn. Alles hatte er vor sechs Jahren versucht, um die WHO auf die beiden
SARS-Fälle in seinem Krankenhaus in Jos aufmerksam zu machen. Die Regierung hingegen
hatte ebenso alles getan, um dies zu verhindern. Sogar
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