Virus (German Edition)
Trampeln der schweren Stiefel, das aufgeregte Gerenne;
hörte er die kurzen, abgehackten Befehle des Notarztes an seine
Rettungsassistenten, die verhasste Stimme Herforths, die ihre Spurensicherer
instruierte, die aufgeregten Stimmen anderer Hotelgäste auf dem Flur.
Woher hatte Herforth von den
Heuschrecken gewusst? Hätte auch er damit rechnen müssen? Hatte er etwas
übersehen? Hatte er falsche Schlüsse gezogen? Hätte er etwas wissen können,
wenn er nur seinen Stolz überwunden und Ashcroft und Petersen zugehört hätte? Würde
Makinwa nach Trébor das nächste Opfer seines Stolzes werden?
„Wie sieht es aus?” hörte er
Herforth das Dröhnen in seinen Ohren übertönen.
„Nicht gut”, antwortete der
Notarzt in endloser Entfernung. „Drei Minuten früher und wir würden uns über
ein paar Narben sorgen. So aber sehe ich nur geringe Hoffnung.”
„Wir wissen, nach welchem
Muster er mordet und nach welchem Muster er seine Opfer auswählt. Wir wissen
sogar, wer mögliche nächste Opfer sind” , hörte Wegmann plötzlich
Petersens Stimme in seinem Ohr. Erneut sah er das Bild des freigelegten
Fleisches Makinwas vor sich und in diesem Moment verlor er seinen Kampf gegen
die Ohnmacht.
113.
Mark Wolf hatte seinen Entschluss
gefasst. Es gab Dinge, die gesagt werden mussten, und er war nicht länger
bereit, sie in sich hineinzufressen. So hatte er sich in sein Auto gesetzt und
war die neunzig Kilometer nach Schwerin gefahren. Auf der Fahrt hatte er sich
seine Worte zurechtgelegt, während Adrenalin sein Herz nahezu hatte rasen
lassen. Als er vor dem Arsenal, dem Gebäude des Innenministeriums am
Pfaffenteich, aus seinem Auto stieg, hatte er das Gefühl, sich vor wenigen
Augenblicken erst hinein gesetzt zu haben.
Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Mark schloss seinen Focus ab, atmete einmal tief durch und betrat das rotbraune
Gebäude aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Aufgrund früherer Besuche
hatte er keine Mühe, die für die Polizei zuständige Abteilung vier zu finden. Er
hatte sein Eintreffen telefonisch angekündigt und so trotz der
fortgeschrittenen Uhrzeit noch einen Termin mit dem Leiter der Abteilung, Heinz
Ackermann, vereinbaren können. Während des Gipfels, so vermutete Mark, war
früher Feierabend für die hier Beschäftigten sowieso ein Fremdwort.
Nach nur kurzem Warten bat
Ackermanns Sekretärin ihn in dessen Büro. Er schüttelte dem Abteilungsleiter
die Hand, lehnte Kaffee ab und nahm ihm gegenüber vor dessen Schreibtisch aus
Edelstahl und Glas Platz.
Ackermann war Ende vierzig und
von ebenso mittelgroßer wie mittelschwerer Gestalt. Er trug eine Brille und einen
gut sitzenden Anzug und konnte das Grau in seinem kurzen, lichter werdenden
Haar nicht mehr verbergen. Sein Gesicht strahlte eine Freundlichkeit aus, bei
der Mark nicht recht einzuschätzen wusste, wie ehrlich sie war. Immerhin befand
er sich im Innenministerium der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns. Hier
wurde Politik gemacht, und wo Politik gemacht wurde, da wurde geheuchelt.
„Was kann ich für Sie tun, Herr…”,
Ackermann warf einen Blick auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf seinem
Schreibtisch lag, „…Wolf?”
„Ich würde mich gerne mit Ihnen
über moralische Gesichtspunkte des Polizeieinsatzes beim Gipfel unterhalten”, erwiderte
Mark. Er hatte sich diese Eröffnung genau so zurechtgelegt. Es war von
essentieller Wichtigkeit, dass er sachlich blieb, und das Aufsagen einer
vorbereiteten Einleitung würde ihm dabei helfen. Hätte er frei improvisiert, so
hätte sein Zorn wahrscheinlich schnell jede Sachlichkeit aus seinen Aussagen
gewischt.
Die Freundlichkeit wich aus
Ackermanns Gesicht und bestätigte Mark in seiner Annahme, sie sei aufgesetzt.
„Und dafür kommen Sie hierher? Glauben Sie ernsthaft, ich hätte Zeit für so
einen Unsinn?”
„Ich denke, Sie sollten sich die
Zeit nehmen, mir zu erklären, wie Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können,
Provokateure in die Reihen der Globalisierungsgegner zu schleusen”, beharrte
Mark.
Ackermann seufzte. „Es geht hier
nicht um Moral, Herr Wolf”, sagte er dann. „Aus strategischer Sicht ist es
schlichtweg nicht möglich, auf Provokateure zu verzichten. Wir zetteln
Ausschreitungen ja nicht zum Spaß an, sondern um gewaltbereite Globalisierungsgegner
ausmachen und dann festnehmen zu können. Auf diese Weise können wir steuern, wo
die Auseinandersetzungen stattfinden und sie von Städten und Gemeinden
fernhalten. Am Samstag findet eine
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